Abenteurer Stephan Orth: Auf Opas Spuren durch das Eis
Der Wuppertaler Stephan Orth startete in sein bisher größtes Abenteuer — eine Grönland-Durchquerung auf Skiern.
Wuppertal/Hamburg. Ein Kajakpaddel, Inuitwaffen sowie einige Speere mit Karabinerhaken aus Walrosselfenbein — Stephan Orth ist seinem Großvater nie persönlich begegnet. Allein diese Gegenstände in der „Grönland-Diele“ im Haus seiner Großeltern und eine Totenmaske erinnern den Enkel an seinen Opa — und ein kleines Büchlein in tarnfarbengrauem Leineneinband, das jahrzehntelang ungelesen in einem alten Holzschrank lag.
„Leicht schimmliger Papiergeruch, obendrauf ein unkenntliches rotes Siegel und ein dunkler Fett- oder Wasserfleck. ,Grönland 1912/13’ steht, mit schwarzer Tusche geschrieben, über der ersten von 208 leicht vergilbten Seiten: Opas Expeditions-Tagebuch“, schreibt der Enkel von Roderich Fick rund 100 Jahre später in seinem Buch „Opas Eisberg“. „Ich habe mich nie sonderlich für den Mann interessiert“, gibt Stephan Orth zu.
Doch dann macht sein Vater eine Entdeckung: In einem Geschäft in München weckt eine Karte von Ostgrönland das Interesse des emeritierten Geschichtsprofessors der Wuppertaler Universität. Darauf zu sehen sind der kilometerbreite Sermilik-Fjord mit seinen verästelten Buchten, das Örtchen Tasiilaq, im Westen die riesige Eisfläche — und Ficks Berg. „Ein Berg, der nach meinem Opa benannt ist“, staunt Orth.
Als der Vater von dem Fund berichtet, weiß sein Sohn noch nicht, dass er bald zum größten Abenteuer seines Lebens aufbrechen wird. „Ich hatte zwar viel Erfahrung von Berg- und Wandertouren, aber ich hätte mir nicht träumen lassen, mal bei einer solchen Expedition dabei zu sein“, sagt 33-Jährige.
Wilfried Korth, Professor für Vermessungstechnik
Drei Wochen lang war er im August und September des vergangenen Jahres auf Skiern in Grönland unterwegs, auf den Spuren seines Großvaters, der 100 Jahre vorher die Überquerung des Inlandeises geschafft hatte — als Teilnehmer der Schweizer Grönland-Expedition von 1912 unter der Leitung des Geophysikers Alfred de Quervain. Zuvor war die Durchquerung nur einer einzigen weiteren Gruppe gelungen.
Grönland ist die größte Insel der Welt, überzogen von einem Eispanzer, über die sogenannten katabatischen Winde, Piteraq genannt, hinwegziehen: Mit 140 oder auch mal 200 Stundenkilometern blasen sie über das Eis in Richtung Meer. „Zum Glück blieb uns ein solches Extremwetter erspart — wir hatten nur einen Regentag“, sagt der Autor.
Um die Expeditionen von Stephan Orth und die seines Großvaters, Roderich Fick, geht es in „Opas Eisberg“. Auf 272 Seiten berichtet Orth unter anderem von den Vorbereitungen auf das Abenteuer. „Eine Grönland-Durchquerung ist ungefähr so, als würde man jeden Tag einen Halbmarathon laufen“, hatte ihm Wilfried Korth gesagt. Der Berliner Professor für Vermessungstechnik hat das Inlandeis bereits dreimal durchquert. „Wir haben uns gleich beim ersten Treffen bestens verstanden, es war ein absoluter Glücksfall, dass ich mit ihm zusammen losziehen konnte“, sagt der Autor.
„Und er war begeistert, auf den Enkel eines Teilnehmers der historischen Expedition zu treffen, mit der er sich so viel beschäftigt hatte.“ Orth darf sich der vierten Expedition Korths anschließen. Ein großes Abenteuer. Ein Abenteuer, für das er nicht nur sportlich an seine eng gesteckten Grenzen gehen musste. Der 33-Jährige durfte aber auch schlemmen „wie ein Irrer“, um sich ein paar Extra-Kilos für das ewige Eis anzufuttern. „Es fiel mir weniger schwer, mich dafür zu motivieren, als für das tägliche Kraft- und Ausdauertraining “, sagt der Autor.