Acht-Stunden-Tage kennt sie nicht
Weltkulturerbe: Emmeline Decker (29) restauriert die Tempelstadt von Angkor Wat in Kambodscha.
Siem Reap. "Manchmal kann ich immer noch nicht fassen, dass ich hier arbeiten darf", sagt Emmeline Decker. Die 29-jährige Restauratorin aus Dresden lässt den Blick über ihren Arbeitsplatz schweifen - die sagenumwobene Tempelstadt von Angkor Wat mit ihren Türmen, Terrassen und Wandelgängen, den Skulpturen und Reliefs. Fast senkrecht steht die Sonne über dem weltberühmten Ensemble im Norden Kambodschas. Ungeachtet der Mittagshitze drängen Touristenscharen durch das Tor.
In dem weitläufigen Gelände fallen Gerüste und abgesperrte Teile kaum auf, doch das rund 900 Jahre alte Angkor Wat ist eine große Baustelle. Fachleute aus der ganzen Welt helfen, das Weltkulturerbe zu erhalten. Decker geht zu einem eingerüsteten Pavillon an der Südwestseite, "German Apsara Conservation Project" steht auf einem Schild. "Der Name leitet sich von den Apsara her, den Himmlischen Tänzerinnen, die zu Tausenden die Reliefs in den Galerien schmücken", sagt die 29-Jährige.
Decker liebte schon als Kind die Architektur der Kunststadt Dresden. Nach der Schule lernte sie bei einem Steinmetz und bei Restauratoren, studierte an der Fachhochschule Köln. 2005 folgte ein Praxis-Semester in Kambodscha, wo sie den Zustand der Buddhafiguren in Angkor Wat untersuchte. Für ihre Diplomarbeit flog sie immer wieder nach Asien - und wuchs in das Projekt hinein. Seit 2008 arbeitet sie als Assistentin von Professor Hans Leisen, unter dessen Leitung das vom Auswärtigen Amt finanzierte Projekt Angkor Wat steht.
Decker steigt über das Gerüst ins dritte Stockwerk, wo sie mit den kambodschanischen Mitarbeitern des GACP-Projektes arbeitet. Viele der Reliefs sind verwittert. Häufig sind die Plastiken ausgewaschen, und tiefe Risse ziehen sich über die Flächen. "Manche Schäden erkennt man auf den ersten Blick gar nicht", sagt die Restauratorin. Sie klopft an eine Stelle; es klingt hohl. Ohne sachkundige Sanierung würden viele der kostbaren Reliefs irgendwann einfach abfallen.
Die deutschen Fachleute und ihre Mitarbeiter gehen mit verschiedenen Methoden vor: Risse und Hohlräume werden mit Spezialmörtel gefüllt, Oberflächen mit Schutzbeschichtungen gesichert, Reliefs mit Dübeln befestigt. Die Restauratoren kommen nur zentimeterweise voran, Geduld und Präzision sind gefragt. 1997 hatte das deutsche Team praktisch bei Null begonnen. Zunächst mussten das Ausmaß der Schäden erfasst, Methoden zur Konservierung des Sandsteins gefunden und Einheimische zu Restauratoren ausgebildet werden.
"Unter den Teams aus aller Welt hat sich herumgesprochen, dass wir als einzige auf die Konservierung von Stein spezialisiert sind", erzählt Decker. Die Deutschen würden daher oft von anderen Teams um Hilfe gebeten. Längst arbeiten sie auch an anderen Tempeln des Weltkulturerbes, das sich über rund 400 Quadratkilometer erstreckt.
Zwei Jahre lang war Decker nicht zu Hause. Einen Acht-Stunden-Tag kennt sie in Kambodscha nicht. In ihrer knappen Freizeit kann sie deswegen nur Taek-Won-Do trainieren oder mit Freunden essen gehen. Konzert- oder Kinobesuche will sie nun nachholen - im Urlaub in Dresden.