„Aids kann jeden treffen“

Als Jörg (32) von seiner Infektion erfuhr, dachte er nur an ein Todesurteil. Heute lebt er mit der Krankheit – und will aufklären.

Düsseldorf. Nein, seinen richtigen Namen will Jörg nicht in der Zeitung lesen. "Meine Schwester hat mich darum gebeten. Sie hat Angst, dass sie sonst Probleme in der Schule bekommt." Der 32-Jährige lächelt kurz.

"Es gibt ja immer noch eine Menge Vorurteile." Denn Jörg ist aidskrank. Und in den zweieinhalb Jahren, seit er davon weiß, musste er gegen eine Menge Vorurteile ankämpfen - auch die eigenen.

Den Tag vor zweieinhalb Jahren, als er wegen einer Gürtelrose samt Herpes-Erkrankung in der Uni-Klinik lag, wird der rotblonde Zwei-Meter-Mann nie vergessen. Die Krankheitssymptome könnten auf eine Immunschwäche hindeuten, hatte die Ärztin gesagt und zum HIV-Test geraten.

Jörg weiß noch genau, wie sie ins Zimmer kam und sagte: "Der Test ist positiv - aber das wissen Sie bestimmt schon." Jörg wusste es nicht. Woher auch? "Ich gehörte nie zu einer Risikogruppe." Jörg ist nicht schwul, Jörg ist kein Junkie.

Jörg hatte nur in seinen jungen wilden Jahren häufig ungeschützten Sex mit wechselnden Frauen. "Aids war für mich nie ein Thema." Als die Diagnose kam, hatte er nur einen Gedanken: "Jetzt bist du tot."

Die Zahl der Menschen in Deutschland, die diesen niederschmetternden Befund vom Arzt mitgeteilt bekommen, steigt seit 2001 kontinuierlich an. Ulrich Heide, Vorsitzender der Deutschen Aids-Stiftung, warnt unserer Zeitung gegenüber vor einer neuen Sorglosigkeit im Umgang mit HIV: Durch die neuen Therapie-Medikamente sei insbesondere bei der stark gefährdeten Gruppe der schwulen Männer ein falsches Bewusstsein von Heilbarkeit entstanden.

"Manche denken gar, Aids sei eine normale chronische Krankheit wie zum Beispiel Diabetes." Eine fatale Fehleinschätzung: "Aids ist immer noch unheilbar, an Aids wird immer noch gestorben."

Auch Jörg wird jeden Tag daran erinnert, dass er ein schwerkranker Mann ist. Als seine Infektion entdeckt wurde, war die Krankheit bereits ausgebrochen und begann, sein Immunsystem zu zerstören. 15 Tabletten schluckt er nun jeden Tag, schwere Hämmer, die das Virus zurückdrängen sollen.

Die Nebenwirkungen sind heftig: Aufgrund chronischer Magen-Darm-Probleme ist er auf 75 Kilo abgemagert. Der frühere Maler und Trockenbauer ist froh, wenn er den Acht-Stunden-Tag als Ein-Euro-Jobber bei der Düsseldorfer Aidshilfe durchsteht. "Manchmal, wenn es mir nach einer Woche Durchfall wieder richtig dreckig geht, denke ich auch an Selbstmord."

Doch bisher hat Jörg immer wieder seinen Lebenswillen zurückgefunden. Dank seiner Familie, die zu ihm steht. Dank alter Freunde, die sich nicht abgewandt haben, und neuer, die sich nicht an seiner Krankheit stören.

Dank seiner Freundin, die seit einem Jahr mit ihm zusammen ist. Und dank anderer Betroffener, die ihm Hoffnung gegeben haben. "Wir haben hier bei der Aidshilfe einige Urgesteine, die trotz der früher viel schlechteren Therapien schon 20 Jahre überleben. Das macht einem Mut."

Jörg hat gelernt, dass die Krankheit kein einsamer Weg zum Tod ist. "Ich lebe bewusster, will jeden Tag genießen", sagt er - und fügt sarkastisch hinzu: "Um meine Rente muss ich mir ja keine Sorgen machen."

Ein Heilmittel gegen Aids, da ist er sicher, wird er wohl nicht mehr erleben. Umso wichtiger ist ihm seine ehrenamtliche Mitarbeit in der Aids-Aufklärung. "Es kann jeden treffen", lautet seine Botschaft. "Ich bin das beste Beispiel dafür."