Gespräch mit Ulrich Tukur: „Verbrechen hat Sex-Appeal“

Ulrich Tukur philosophiert über seine Rolle als Serienmörder und was solch einen Typ so gefährlich attraktiv macht.

Hamburg. Er war Kavalier bei den Damen, half in Mäntel, hielt Türen auf - und zwischendurch brachte er auch mal eine um. Sieben sicher, mehr als 20 vielleicht, "am Ende der schlimmste Serienmörder deutscher Nachkriegsgeschichte", hieß es 1994, als Horst David endlich verhaftet wurde.

Der Mann sitzt noch bis 2023 hinter Gittern. Er verachtet alle "einfachen Mörder" um sich herum und freut sich auf den 1. August, speziell auf den Schauspieler Ulrich Tukur. Der spielt den David in der szenischen ARD-Doku "Der Mann, dem die Frauen vertrauten."

"Es ist schon seltsam, Lieblingsschauspieler gerade eines solchen Mannes zu sein", lächelt Tukur etwas schief. Auch eine gewisse physiognomische Ähnlichkeit mit David lässt den 51-Jährigen ironisch seufzen. Und dann denkt er nach, warum Frauen gerade einem solchen Mann vertrauten, bis sich sein Würgegriff um ihren Hals legte.

Das eine waren die leicht altmodischen Tugenden wie Höflichkeit, Rücksichtnahme, "alles sehr bürgerlich und sehr einnehmend: Er spielte Klavier, war nett zu Kindern, brachte alten Leuten auch schon mal den Müll runter." Das andere, das Raubtier hinter freundlicher Fassade, hat man wohl mehr unbewusst gewittert.

Das macht einen solchen Typ gefährlich - und gefährlich attraktiv. "Verbrechen hat seinen eigenen Sex-Appeal", meint Tukur, "auch Hässlichkeit, auch Machtgebaren. Nehmen Sie den stockhässlichen Bert Brecht! Wie hat der die Frauen behandelt! Und wie hingen sie dennoch an ihm!"

Auch Tukur ist einer, dem man vertraut. Blond, nett, immer freundlich. Der ganze Tukur? Sein Lächeln vertieft sich: "Der andere muss nicht gleich wissen, was ich von ihm denke. Er kann ruhig glauben, dass ich ihn unheimlich sympathisch finde - bis zu einem gewissen Punkt.

Dann kann ich ziemlich bösartig werden, glaube ich." Eine dunkle Seite, die er auch in seinen Rollen ausspielt. Dort war er schon mehrfach der Böse, dazu lacht er: "Das ist ja das Schöne an meinem Beruf. Man darf so was spielen, muss es nicht sein."

Im Leben ist er dann wieder der nette Mann von nebenan: "Das habe ich vor allem hier in Italien gelernt. Erstmal die Fassade wahren. Solange es geht." Italien ist Tukurs Wahlheimat, der in Tübingen als Straßenmusiker seine künstlerische Karriere begann und "diese ganz einmalige Schauspielschule" um keinen Preis missen möchte. In Venedig hat er eine Wohnung, aber als Dauerwohnsitz ist ihm diese Stadt zu künstlich, zu kulissenhaft: "Man hat das Gefühl, immerzu eine Rolle zu spielen."

Stattdessen fand er einen Riesenbauernhof in den Apenninen, "irgendwo in der Nähe liegt Florenz". Hier möchte er alt werden, vielleicht mal als Besitzer eines schönen Restaurants. Doch mit seiner zweiten Frau Katharina John genießt er zunächst mal das Leben: "Essen und Trinken - das sind gute Dinge." Zwischendurch Arbeit muss sein, aber nicht mehr so hektisch angespannt.

Früher stand er praktisch allabendlich auf der Bühne, dazu drehte er Filme, machte Musik. An ihr hängt er, tritt seit zehn Jahren mit seinen "Rhythmus Boys" auf - neulich noch beim Besuch von Michail Gorbatschow in Hamburg.