„Ich hab’ Rücken“

Sind wir wütend oder traurig, lässt das auch die Muskulatur nicht unberührt: Das Volksleiden hat oft eine seelische Komponente.

"Mir läuft ein Schauer über den Rücken." - "Ich mache mich krumm, verbiege mich und muss so viel ertragen." - Der Volksmund kennt manche Redensarten, die auf den Rücken abzielen. In ihnen ist bereits zu erkennen, dass unser Rückgrat und unsere Seele zusammenhängen.

Das war schon im 12.Jahrhundert bekannt. Damals hielt die heilkundige Äbtissin Hildegard von Bingen die Rückenleiden für ein Signal eines seelischen Grundkonflikts und verschrieb nur "Therapien", die die Seele reinigen sollten: fasten, beten und Reue zeigen. Sie glaubte nämlich, dass die Schmerzen durch Maßlosigkeit, durch Schwermut oder Traurigkeit verursacht würden.

Rückenschmerzen sind laut dem Robert-Koch-Institut die häufigste Schmerzform in der Bevölkerung. Nach einer Umfrage aus dem Jahr 2006 leiden im Durchschnitt 69Prozent der Bundesbürger gelegentlich daran. Von chronischen Rückenschmerzen sind 15Prozent betroffen, ebenso viele haben spezifische Schmerzen, und bei 85Prozent ist die Ursache ungeklärt, was die Behandlung erheblich erschwert.

Wie schon die kluge Benediktinerin sehen auch heutzutage viele Mediziner den Zusammenhang zwischen seelischen Problemen und Schmerzen im Rücken: "Seele und Körper sind untrennbar miteinander verbunden", schreibt Marion Grillparzer in der Veröffentlichung "Unser Rückenbuch". Mindestens jeder dritte Rückenpatient leide an einer depressiven Verstimmung. Der Osteopath und Orthopäde Siegbert Tempelhof sieht genau darin ein Problem: "Betroffene erkennen Trennungs- oder Verlustereignisse, Konflikte im Arbeits- oder Familienleben oft gar nicht als Auslöser für ihren Schmerz. Der körperlich empfundene Schmerz lenkt vom unbewussten Problem ab."

Die Ursache für dieses komplexe Zusammenspiel liegt im Nervensystem, das über den Wirbelkanal das Gehirn mit den Organen, der Haut und den Extremitäten verbindet. Haben wir zum Beispiel Bauchschmerzen, kann sich plötzlich auch der Rücken melden. Im Rücken selbst verlaufen Tausende von Nerven. Allein die Rückenmarksnerven münden in etwa 800000 Nervenfasern, die Signale vom Körper aufnehmen und über das Rückenmark an das Gehirn weiterleiten - oder andersherum vom Rückenmark zu den Muskeln, den Organen oder zur Haut. So wird verständlich, dass sich bei einem eingeklemmten Nerv an der Halswirbelsäule auch ein Taubheitsgefühl im Arm bemerkbar machen kann. Oder der Darm den Rücken reizen kann.

Sind wir wütend, traurig oder machen wir uns Sorgen, fangen irgendwann die Rückenmuskeln an zu schmerzen. Besonders der Trapezmuskel, der sich vom Nacken über die Schulter zur Wirbelsäule zieht, reagiert empfindlich auf Emotionen. Halten negative Gefühle an, verspannt sich der Muskel dauerhaft, was die Nerven reizt und letzten Endes weh tut.

Warum uns der kalte Schauer ausgerechnet den Rücken herunter läuft, erklärt Martin Marianowicz, Orthopäde und Sportmediziner aus München: "Den Rücken durchziehen mehr vegetative Nerven als den Bauch. Haben wir Angst, sorgen sie dafür, dass sich die Blutgefäße zusammenziehen, die Muskeln anspannen und die Härchen aufstellen. Der Rücken wird weniger durchblutet."

Auch wenn viele Rückenschmerzen als psychosomatische Störungen aufgefasst werden, gibt es weitere, mechanische Ursachen. Monotone Belastungen wie stundenlanges Sitzen oder zu wenig Bewegung können ebenfalls Probleme machen. Dagegen hilft nur, seinen Lebensstil zu ändern und aktiver zu werden, um das Muskelkorsett aufzubauen.

Ob nun seelischer oder körperlicher Natur - es ist wichtig, die Ursache von Rückenschmerzen möglichst früh aufzuspüren, um beispielsweise Verschleißerscheinungen der Knorpel, der Gelenke oder der Bandscheiben zu verhindern. Dank letzterer bleibt unsere Wirbelsäule beweglich und stabil. Werden die Bandscheiben jahrelang einseitig und falsch belastet, wird das Gewebe des Faserrings mürbe, schwach und wölbt sich schließlich vor - der Arzt spricht in diesem Fall von einer Bandscheibenvorwölbung. Bei einem Bandscheibenvorfall kann es sogar zu Taubheitsgefühlen oder Kribbeln kommen. In den meisten Fällen lohnt es sich, geduldig zu sein, denn oft heilt der Körper das System von allein.

Orthopäde Martin Marianowicz warnt zudem vor unnötigen Operationen: "Achtzig Prozent der Bandscheiben-Eingriffe sind überflüssig. Nach fünf Jahren sind Patienten, die ohne Skalpell, dafür aber mit Schmerz-, Physiotherapie oder Akupunktur behandelt wurden, besser dran." Denn nach einer Operation kann Narbengewebe chronische Schmerzen verursachen - und das tut häufig genauso weh wie der Vorfall selbst.