Kopfüber in den Abgrund

Basejumper: Beim Sprung von der Müngstener Brücke verletzt sich ein Düsseldorfer schwer.

Solingen/Remscheid. Das Windgeräusch in den Ohren ist ein Donnern. Mit ausgebreiteten Armen und Beinen fällt er, rast auf die Wupper zu, die 107 Meter unter ihm in der Dämmerung fließt.

Nach ein, zwei Sekunden zieht er die Reißleine; der Fallschirm geht auf, der Öffnungsschock presst ihn in die Beingurte, er spürt die enorme Verzögerung in jeder Körperfaser.

So ungefähr muss es gewesen sein, als der Düsseldorfer Gregor S. (44) am Donnerstag gegen 22.15 Uhr von der Müngstener Brücke sprang. Doch dann ging etwas schief. Statt sanft zu Boden zu schweben, geriet der Ingenieur ins Trudeln, stürzte durch das Geäst mehrerer Bäume auf die Erde und zog sich Arm- und Beinbrüche zu. Zwei weitere Springer landeten unterdessen unverletzt auf dem Müngstener Brückenweg.

Doch während ein 29-jähriger Düsseldorfer sich um den Verletzten kümmerte und den Notarzt rief, gab der dritte Mann nach Polizeiangaben Fersengeld. Mit einem Großaufgebot brach die Feuerwehr nach Müngsten auf, um den Verletzten aus dem Wald zu bergen. Im Solinger Klinikum sollte er gestern operiert werden.

Gregor S. lebt eine Leidenschaft, die riskanter kaum sein könnte. Er ist einer von mehreren hundert Basejumpern in Deutschland (siehe Kasten). Die Sprünge sind hierzulande illegal - bis auf wenige genehmigte Veranstaltungen.

Was die Springer treibt, ist die Sehnsucht nach Intensität, nach der Gewissheit, eine Extremsituation beherrschen zu können. "Ich fühle mich so lebendig. Ich könnte schreien vor Erfüllung." So beschreibt einer der bekanntesten Aktivisten der öffentlichkeitsscheuen Springer-Szene seine Emotionen im freien Fall.

Der Brandenburger hat sich auch schon von einem der 452 Meter hohen Petronas-Türme in Kuala Lumpur fallen lassen. Ihm geht es um die perfekte Aktion, um Haltung, Landung, das Coolsein - nicht darum, den Fallschirm möglichst spät zu öffnen. Denn: "Alte Helden gibt es nicht."

Trotzdem ist die Todesliste lang. Erst vor vier Wochen starb der Franzose Yoann Lizeroux bei den Nissan Outdoor Games in der Schweiz.

Er war in der Jungfrau-Region abgestürzt. Besonders schlimm ist es im schweizerischen Lauterbrunntal, mit seinen senkrechten Felswänden ein Mekka der Basejumper. Allein im Herbst 2007 ließen dort drei Springer ihr Leben.

Warum Gregor S. in Müngsten abgestürzt ist, bleibt unklar. Der Polizei sagte er, sein Fallschirm habe sich nicht ordnungsgemäß geöffnet. Ein anderer Basejumper aus Düsseldorf - ein Rechtsanwalt - berichtet allerdings, es sei wohl ein "Steuerungsfehler" des 44-Jährigen gewesen.

Die Müngstener Brücke ist nicht unbekannt in der Szene. "Die Leute aus der Region springen dort öfter mal", erzählt ein junger Mann aus Thüringen, der die Brücke vor Jahren selbst als Sprungobjekt benutzt hat.

Der verletzte Düsseldorfer und sein 29-jähriger Begleiter müssen möglicherweise mit juristischen Folgen rechnen. Die Bahn prüft Schadenersatzforderungen, weil die Strecke über die Wupper 25 Minuten gesperrt werden musste.

Die Polizei wertet den Sprung als Verstoß gegen das Luftverkehrsgesetz - eine Ordnungswidrigkeit, die dem Luftfahrtbundesamt gemeldet werde, wie der Wuppertaler Polizeisprecher Alexander Kresta erklärt. Dem unbekannnten dritten Springer könnte ein Verfahren wegen unterlassener Hilfeleistung blühen.