Aigner will schärfere Kontrollen bei Tierfutter
Berlin (dpa) - Als Konsequenz aus dem Dioxin-Skandal kaufen die Kunden in Deutschland weniger Eier, Geflügel und Schweinefleisch. Die Industrie klagt über Umsatzeinbrüche zwischen 10 und 20 Prozent.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) soll nach Informationen der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ am Mittwoch in einer Besprechung der Unions-Minister kritisiert haben, dass der Dioxin-Skandal öffentlich nicht gut gelaufen sei. Dioxin-Fleisch könnte in Sachsen-Anhalt und Niedersachsen in den Handel gelangt sein. Viele Deutsche würden laut einer Umfrage für gesünderes Essen mehr Geld ausgeben.
Die in der Kritik stehende Bundeslandwirtschaftsministerin Ilse Aigner (CSU) will an diesem Freitag Maßnahmen für schärfere Kontrollen von Futtermitteln vorstellen. Bei Aigners Aktionsplan geht es um bundeseinheitliche und schärfere Standards bei den Futtermittel-Kontrollen in den Ländern, eine Prüfung aller Rohstoffe durch die Futtermittelhersteller und eine Anzeigepflicht dieser Ergebnisse an die Länderbehörden.
Kontrolleure sollen dann beispielsweise prüfen, ob die Produktion von Futterfetten und technischen Fetten getrennt ist. „Es wird klar definiert, was in Futtermittel darf. Und das, was reinkommt, muss getestet werden“, sagte Aigner der „Passauer Neuen Presse“ (Freitag).
Wie die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ weiter berichtete, habe Merkel in ihrer Kritik Aigner zwar nicht genannt. Unionsfraktionschef Volker Kauder (CDU) soll aber moniert haben, Aigner habe die Initiative stärker an sich ziehen müssen. Die Kritik wurde der dpa nicht bestätigt. In der Kabinettssitzung sollen Merkel und Vizekanzler Guido Westerwelle Aigners Vorgehen vielmehr gewürdigt haben.
Nach einer Emnid-Umfrage für den Nachrichtensender N24 meinen 58 Prozent der Bundesbürger, Ministerin Aigner tue zu wenig für die Sicherheit von Lebensmitteln. Eine Mehrheit (77 Prozent) würde mehr Geld für gesünderes Essen, 21 Prozent wären dazu nicht bereit. Nur rund ein Fünftel findet, dass Nahrungsmittel in Deutschland zu billig sind, um gut zu sein.
180 mit Dioxin-Futter gefütterte Schweine, die im Dezember von Niedersachsen nach Sachsen-Anhalt geliefert wurden, sind inzwischen verarbeitet worden und wohl gegessen, sagte ein Sprecher des Tönnies- Schlachthofs in Weißenfels. Auch in Niedersachsen war weiter offen, ob Dioxin-Fleisch in die Läden kam. Im Raum Hannover gelangten erneut Eier von vorsorglich gesperrten Höfen in den Handel.
Der Umsatz mit Eiern brach seit dem Skandal im Vergleich zum Vorjahr um ein Fünftel ein, der Umsatz mit Schweinefleisch und Geflügel um jeweils ein Zehntel, sagte Jürgen Abraham, der Chef der Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie, der „Bild“- Zeitung (Freitag).
Die SPD-geführten Bundesländer legten einen Maßnahmenkatalog vor. Sie dringen auf eine Zulassungspflicht für Futtermittelunternehmen und eine Anzeigepflicht höherer Grenzwerte für Hersteller und Labors. Außerdem fordern sie strenge Standards für die Eigenkontrollen der Betriebe und eine bessere staatliche Überwachung. Die Verbraucher- und Agrarminister treffen sich am kommenden Dienstag in Berlin.
Deutschlands oberster Verbraucherschützer, Gerd Billen, forderte im Deutschlandfunk mehr Rechte bei Lebensmittelkontrollen auf Bundesebene. Der Chef der Verbraucherorganisation Foodwatch, Thilo Bode, kritisierte die Bundesregierung in der „Frankfurter Rundschau“ als „Dienstleister der Futtermittelindustrie“.
SPD-Chef Sigmar Gabriel forderte Innenminister Thomas de Maizière (CDU) auf, das Bundeskriminalamt einzuschalten. Die „Futtermittel- Mafia“ sei eine Form der internationalen Kriminalität, sagte er dem „Tagesspiegel“ (Freitag).
CSU und FDP stellten sich nach erneuten Rücktrittsforderungen der Grünen vor Aigner. CSU-Chef Horst Seehofer, Aigners Vorgänger im Agrarministerium, sagte: „Es gibt nicht den geringsten Anlass für Vorhaltungen gegenüber der Ministerin.“
Die Entschädigung der betroffenen Landwirte ist nach wie vor offen. „Es ist für die Bauern eine sehr schlechte Situation“, sagte eine Sprecherin des niedersächsischen Landwirtschaftsministeriums. Mit der Insolvenz des Lieferanten der vergifteten Futterfette habe sich die Aussicht auf Schadenersatz verschlechtert.
Nach dem Insolvenzantrag des Futterfett-Herstellers Harles und Jentzsch prüft der vorläufige Verwalter, ob der Bereich der Nicht- Futterfette fortgeführt werden kann. Die Firma aus Uetersen hatte am Mittwoch Antrag auf Insolvenz gestellt. Mit einer Entscheidung über die Eröffnung des Verfahrens sei nicht vor Mitte Februar zu rechnen. Harles und Jentzsch steht unter dem Verdacht, vorsätzlich und systematisch Futterfette gepanscht zu haben.
Das schleswig-holsteinische Landwirtschaftsministerium versucht derweil weiter herauszufinden, welche Futterfett-Chargen wie hoch belastet waren und wohin sie gingen. Auch die Herkunft des Dioxins will es aufklären. „Bisher tappen wir, was die Quelle anbetrifft, im Dunkeln“, sagte Sprecher Christian Seyfert. Insgesamt hat die Behörde bislang 73 Futterfett-Proben von Harles und Jentzsch analysiert. 30 überschritten den Grenzwert zum Teil drastisch. 43 lagen darunter.