Altena: Bewährung statt Gefängnis
Nach seinem Messer-Angriff auf Andreas Hollstein, den Bürgermeister von Altena, muss der Angeklagte nicht in Haft. Der 56-Jährige gilt als psychisch labil.
Hagen. Der Messerangriff auf den Bürgermeister von Altena ist kein Mordversuch gewesen - und der Täter muss voraussichtlich nicht ins Gefängnis: Knapp sieben Monate nach der Attacke verurteilte das Landgericht Hagen gestern den Angeklagten Werner S. zu zwei Jahren Haft auf Bewährung wegen gefährlicher Körperverletzung und Bedrohung. Ausdrücklich hob die Strafkammer hervor, die Tat sei „kein politisches Attentat“ gewesen.
S. hatte Altenas Bürgermeister Andreas Hollstein (CDU) im vergangenen November in einem Dönerimbiss angegriffen und dabei mit einem Küchenmesser bedroht. Dabei soll er Hollstein mit den Worten „Ich steche Dich ab - Du lässt mich verdursten und holst 200 Ausländer in die Stadt“ angeschrien haben.
Altena gilt als Vorzeigekommune bei der Flüchtlingsintegration. Der für seine humane Flüchtlingspolitik bekannte Hollstein wurde bei dem Attentat leicht am Hals verletzt. Unmittelbar nach der Tat wurde über ein fremdenfeindliches Motiv des Angreifers spekuliert. Ermittlungen ergaben jedoch keine Hinweise auf Kontakte des 56-Jährigen in die rechte Szene.
Auch die Staatsanwaltschaft legte dem Messerangreifer keine fremdenfeindliche Motivation zur Last. Allerdings bewertete sie die Tat zunächst als versuchten Mord. Von diesem Vorwurf rückte die Anklage jedoch im Prozessverlauf ab — sie forderte schließlich zweieinhalb Jahre Haft wegen gefährlicher Körperverletzung.
Die Hagener Strafkammer hatte am Donnerstag den Haftbefehl gegen S. mit der Begründung aufgehoben, dass nicht mehr von einem Tötungsvorsatz des 56-Jährigen auszugehen sei. In der Urteilsbegründung hob der Vorsitzende Richter Jörg Weber-Schmitz hervor, der Ablauf der Tat habe sich in der Hauptverhandlung „in wesentlichen Einzelheiten anders“ dargestellt, als zunächst von der Anklage angenommen. S. war vor der Tat wegen einer Depression klinisch behandelt worden und lebte in prekären wirtschaftlichen Verhältnissen. Zuletzt hatten ihm die Stadtwerke sogar die Wasserversorgung gesperrt, weil er einen Zahlungsrückstand nicht begleichen konnte.
Vor Gericht gab er als Grund für den Angriff auf Hollstein an, er habe den Bürgermeister in Angst um dessen Existenz versetzen wollen — so wie er selbst Angst um seine Existenz gehabt habe.
Der Richter sprach in diesem Zusammenhang von einer „kaum nachvollziehbaren Spontantat“ des Angeklagten. S. habe Hollstein „willkürlich und völlig irrational“ für seine desaströsen Lebensumstände verantwortlich gemacht.
Einen Tötungsvorsatz vermöge das Gericht aber „nicht sicher festzustellen“, sagte Weber-Schmitz. Vielmehr habe Hollstein die drei Zentimeter lange Wunde, die er durch das Messer am Hals davongetragen habe, beim Gerangel mit S. erlitten. Eine „Stichbewegung“ habe der Angeklagte „zu keiner Zeit“ ausgeführt. Bei dem „ungeplanten“ und „spontanen“ Angriff durch den nicht vorbestraften S. habe es sich zudem keinesfalls um ein politisches Attentat gehandelt, fügte der Vorsitzende Richter hinzu.
Die Tat sei nicht vergleichbar mit den Attentaten auf den CDU-Spitzenpolitiker Wolfgang Schäuble oder die parteilose Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker. Dem Angriff auf Hollstein habe vielmehr eine „persönliche Kurzschlussreaktion des Angeklagten“ zugrunde gelegen. Gegen das Hagener Urteil ist Revision beim Bundesgerichtshof möglich.