Anita Haviv: Meine neue Heimat Israel

Porträt: Anita Haviv zog nach Israel, da sie nicht im Land der Täter leben wollte. Zum 60. Jahrestag der Staatsgründung erklärt die Jüdin, was Israel für sie bedeutet.

Tel Aviv. Ein Land feiert Geburtstag. Mit einer Militärparade und Volksfesten erinnern die Israelis seit gestern an die Gründung ihres Staates vor 60 Jahren. Als Anita Haviv auf das Jubiläum angesprochen wird, zuckt sie mit den Schultern. "Ein Jubiläum ist einfach nur ein Datum", sagt die Israelin. Aber dann hat sie doch so viel zu erzählen.

"Es ist nicht leicht, hier zu leben mit den vielen Konflikten. Aber wir alle haben eine starke emotionale Bindung zu dem Land", versichert sie. Das Staatsjubiläum sei eine gute Gelegenheit zur Bestandsaufnahme und zu der positiven Bilanz, "dass Israel Fuß gefasst hat als ein Staat".

Haviv, die in Netanya bei Tel Aviv lebt, stammt aus einer jüdischen Familie in Wien. Dort ist sie in den 60er und 70er Jahren auch aufgewachsen. Der Vater war in Auschwitz interniert, seine Eltern wurden dort ermordet. Von Auschwitz kam er nach Mauthausen und überlebte den Todesmarsch.

Nach dem Krieg ging der Vater nach Wien und lernte dort seine Frau kennen. Die stammt aus Ungarn und wuchs im Ghetto in Budapest auf. Viele ihrer Familienmitglieder kamen in dieser Zeit um. Die Eltern sprachen mit ihrer einzigen Tochter nie über den Holocaust. Nur die ungarische Großmutter erzählte der Enkelin viel davon. Schon als Jugendlicher wurde Haviv klar, dass sie nach Israel auswandern wird. "Denn Österreich ist für mich das Land der Täter, nicht weniger als Deutschland."

Der Anfang in Israel nach dem Abitur 1979 war schwierig. Nicht nur, weil es eine fremde Sprache zu lernen galt. "In Wien bin ich in den Kaffeehäusern aufgewachsen. Es war eine Katastrophe für mich, dass es so etwas in Israel nicht gab", sagt sie lachend. Anfangs habe sie sehr unter der Sehnsucht nach Wien gelitten, doch eine Rückkehr kam nie in Frage.

Haviv begann in Tel Aviv englische und französische Literatur zu studieren und lernte in dieser Zeit ihren Mann kennen, einen aus Libyen eingewanderten Juden. Der heute 22-jährige Sohn Daniel und die 20-jährige Tocher Nicole sind derzeit beide im Militärdienst. "Die Armee ist etwas, was unsere Familien hier prägt", stellt die 48-Jährige fest. Es sei nicht einfach als Mutter, die bis dahin so behüteten Kinder in die Armee schicken zu müssen. Dann erzählt sie von den Gasmasken, die jeder Israeli zu Hause bereit liegen hat. Das ständige Gefühl der Gefährdung gehöre zum Alltag. "Das ist für uns normal. Doch es belastet einen trotzdem", sagt sie. "Aber hier, wo meine Kinder sind, ist meine Heimat."

Trotzdem blieb sie ihrer Muttersprache durch den Beruf verbunden. Sie arbeitet als Referentin für die Bundeszentrale für politische Bildung und die Friedrich-Ebert-Stiftung. Nach Wien reist die Israelin regelmäßig. Dort lebt auch nach wie vor die Mutter. Aber auch eine andere Verbundenheit zu der Kaffeehaus-Stadt pflegt sie mit Vergnügen: Wenn Haviv von der Arbeit in Tel Aviv mit dem Auto nach Hause fährt, braust sie am liebsten zu Wiener Walzer-Klängen dahin.