Auslaufende Studiengänge: Bummelstudenten unter Druck

Für die alten Abschlüsse Magister und Diplom läuft die Schonfrist aus. Wer den letzten Prüfungstermin verpasst, fliegt raus.

Düsseldorf. An dem Tag, als Paul Lübe sein Medizinstudium begann, war Bundeskanzlerin Angela Merkel noch gar nicht eingeschult. Zum Wintersemester 1957 schrieb sich der Student, der seinen echten Namen und sein Alter nicht veröffentlicht sehen will, an der Universität Kiel ein. 54 Hochschul-Jahre später ist Lübe dort immer noch immatrikuliert — und mit seinen 108 Semestern deutschlandweit Rekordhalter, wie die Uni bestätigt.

Lübes Rekord bricht so schnell keiner, doch auch viele Hochschüler mit dem Ziel Magister, Diplom oder Staatsexamen müssen sich Beinamen wie „Bummelstudent“ und „Dinosaurier“ gefallen lassen. Weil ihre Studiengänge auslaufen und dem straffer organisierten Bachelor und Master Platz machen, hat für diese Studenten ein Wettlauf gegen die Zeit begonnen.

Schon bis März müssen etwa Germanisten, Historiker und Philosophie-Magister der Uni Düsseldorf ihre Prüfungen abgelegt haben. Kunst- und Musikstudenten sind im September 2012 fällig. Ein einheitliches Finale, das für alle Studiengänge und Hochschulen gilt, gibt es aber nicht.

„Viele fühlen sich unter Druck gesetzt“, sagt Cordula Meier, Studienberaterin der Düsseldorfer Hochschule. Deshalb hilft sie den Alt-Studenten im „Endspurt“-Programm auf den letzten Metern.

Wie viele Semester den Alt-Studenten bis zur Prüfung noch bleiben, gibt im Prinzip das NRW-Ministerium für Wissenschaft vor. „Regelstudienzeit plus vier Semester“, heißt es dort. Eine Obergrenze für die Frist gibt es aber nicht. Die Unis entscheiden selbst, ob sie an die vier zusätzlichen Semester noch weitere anhängen, ob sie ihre Langzeit-Studenten länger dulden — oder einfach vor die Tür setzen.

An der TH Aachen ist dieser „Rauswurf“ schon Wirklichkeit geworden. 250 Studenten mussten dort ihr Studienbuch abgeben, weil sie den letzten Prüfungstermin verpasst hatten. Auch die Ruhr-Uni Bochum setzte 120 Studenten vor die Tür.

Julius Kohl, Sprecher der Universität Düsseldorf

In Köln mussten rund 1600 Studenten ihren alten Abschluss an den Nagel hängen und auf Bachelor oder Master umsatteln. 32 fanden keine Lösung — und mussten die Uni verlassen. Diese begründete den Schritt mit der Studienunfähigkeit der Betroffenen. „Viele hatten psychologische Probleme oder konnten ihr Studium nicht selbstständig zu Ende bringen“, sagt eine Sprecherin.

Jan Weber will sich diesen Vorwurf nicht gefallen lassen. Der Physikstudent gehört zu denen, deren Prüfungsordnung ausgelaufen war. „Mir fehlte noch genau ein Schein“, klagt der 29-Jährige. Informiert habe ihn niemand — erst der Dozent, der ihm die Anmeldung zu seinem Kurs verweigerte. Für seinen letzten Schein will Weber kämpfen und zieht nun vor Gericht.

In Düsseldorf werde niemand zwangsexmatrikuliert, jedoch würden alte Studiengänge irgendwann auslaufen, sagt Uni-Sprecher Julius Kohl. Eine Rückmeldung etwa als Magister ist dann nicht mehr möglich. „Die Umstellung ist nichts, was von heute auf morgen über einen hereinbricht.“ Nach mehr als zehn Jahren Bologna-Reform müsse man alte Abschlüsse auch abschaffen dürfen. „Irgendwann muss auch Schluss sein.“