Brasilianische Müllsammler bald ohne Job
Brasilien schließt die größte Deponie Südamerikas.
Rio de Janeiro. Aus zerfetzten Müllsäcken quellen Essensreste, Milchtüten und zerbrochenes Glas, Geier hacken mit ihren Schnäbeln in den Abfällen, durch die Luft wabert der Gestank von Fäulnis und Verwesung. „Das ist der beste Ort, um Geld zu verdienen“, sagt Marlene Maria de Fatima Albino über ihren wenig einladenden Arbeitsplatz. Auf der Müllkippe von Jardim Gramacho am Rande von Rio de Janeiro suchen sie und hunderte andere Müllsammler nach wiederverwertbarem Material, um es an Recyclingfirmen zu verkaufen.
Doch bald müssen sich die sogenannten Catadores neue Arbeit suchen: Kurz vor dem UN-Umweltgipfel Rio+20 wird die größte Müllhalde Südamerikas dichtgemacht. Die 59-jährige Marlene Maria durchstöbert den Müll nach Plastikflaschen, Joghurtbechern, Shampoo-Tuben — nach allem, was aus PET hergestellt wurde. Umgerechnet 60 Cent bekommt sie für ein Kilo des Kunststoffs. Mehr Geld bringen Getränkedosen, knapp ein Euro das Kilo, für Kupferdrähte gibt es sogar bis zu vier Euro das Kilo.
Für die Catadores ist die Arbeit auf dem Müllberg ein gutes Geschäft. Auf der Halde machten sie in guten Zeiten 1000 Reais in einer Woche — rund 390 Euro, für viele ein kleines Vermögen in einem Land, in dem der monatliche Mindestlohn bei 622 Reais liegt. Doch damit ist ab dem 1. Juni Schluss.
Dann wird die Müllkippe offiziell stillgelegt, rund 35 Jahre nachdem die damaligen brasilianischen Militärherrscher entschieden, den Abfall der Metropole Rio inmitten von Mangrovenwäldern und direkt an der Guanabara-Bucht abzuwerfen. Auf dem 130 Hektar großen Areal haben sich so 60 Millionen Tonnen Müll zu einem 60 Meter hohen Berg aufgetürmt.
Immer wieder wurde die Stilllegung der Halde verschoben. Doch nun, rechtzeitig vor dem Weltumweltgipfel, zu dem vom 20. bis 22. Juni Staats- und Regierungschefs aus aller Welt anreisen, kann der Gastgeber zeigen, dass er es ernst meint mit Umweltschutz.
Nelson dos Santos, der seit 15 Jahren den Müll durchwühlt, kann die Begeisterung nicht teilen: „Was sollen wir denn machen, wenn die Müllkippe dichtmacht?“, schimpft der 55-Jährige. Immerhin bekommt jeder der mehr als 1700 registrierten Catadores eine Entschädigung von umgerechnet rund 5000 Euro, außerdem sollen für sie Jobs in neuen Mülltrennungsanlagen geschaffen und Kurse zur beruflichen Fortbildung angeboten werden. AFP