„Brunetti ist ein Kämpferherz“
Uwe Kockisch (65) über seine bekannteste Rolle und die Frage, warum er als Stasi-Opfer kein Rachebedürfnis hat.
Herr Kockisch, seit 2003 spielen Sie für die ARD den Commissario Brunetti. Was mögen sie nach elf Einsätzen als venezianischer Ermittler an ihm?
Kockisch: Brunetti ist eine sehr angenehme Figur, ich mag vor allem seine Gelassenheit. Er ist ein Kämpferherz, kommt jedoch nicht auf lauten Stiefeln an. Ich habe die Romane damals, als mir die Rolle angeboten wurde, gar nicht gekannt, aber meine Mutter sagte mir: "Ach, das ist so toll" - und hat mir gleich die Bücher in die Hand gedrückt. Als ich beim Lesen gemerkt habe, dass Donna Leon die Figur nutzt, um sich über gesellschaftliche Themen zu äußern, und dass sich das in vielen Fällen auch mit meiner eigenen Meinung deckt, fand ich das sehr spannend.
Kockisch: Nein, dafür werde ich ja bezahlt, dass genau das nicht passiert. Ich muss bei jedem Film nach einer neuen Facette von Brunetti suchen und mir überlegen, wie ich ihn anpacke. Das ist manchmal schon schwer, das stimmt. Man muss aufpassen, dass sich nichts wiederholt und wir die Zuschauer nicht langweilen. Aber da arbeiten wir alle dran. Ich halte ihn wach, das verspreche ich.
Kockisch: Leider ist es nicht so, dass ich jeden Monat ein wunderbares Drehbuch auf dem Tisch habe. Ich habe in letzter Zeit relativ viel abgesagt, aber da kommt man irgendwann an eine Grenze, ich muss ja schließlich auch Miete zahlen. Irgendwann gerät man unter Druck, wieder ein Projekt zu finden, und versucht, sich ein Buch schön zu lesen, das bringt aber nichts. Man fährt am besten, wenn man sich nicht verbiegt. Eine eigene Meinung zu haben und dazu zu stehen ist ein größerer Luxus als ein Lamborghini.
Kockisch: Ich hab mich auch schon gefragt, ob ich jetzt Spezialist für Ostthemen werde, aber es ist reiner Zufall. Sehen Sie, ob eine Figur Major bei der NVA oder der Stasi ist - das ist für mich nur eine Berufsbezeichnung. Es geht um etwas anderes. Der Konflikt in "Weißensee" erinnert zum Beispiel an Shakespeare: Der älteste Sohn kämpft um die Liebe seines Vaters, den ich spiele, der Alte wendet sich aber dem jüngeren Sohn zu, obwohl der eine Liebesbeziehung hat, die verboten ist. Das ist klassisches Drama.
Kockisch: Der Kameramann bei "Weißensee" hat mich neulich auch gefragt, ob ich in der Rolle als Stasi-Mann jetzt mal so richtig Gas gebe und den in die Pfanne haue. Aber wenn ich das mache, ist es ja keine Figur mehr, sondern ein Klischee. Ich will jede Figur, die ich spiele, ob Stasi oder nicht, verteidigen. Natürlich erinnere ich mich an viele Dinge von damals. Aber nachtreten, was soll das? Da übersäuert man nur, körperlich und seelisch.