Besser in die Familien schauen Debatte um Verantwortung nach Freiburger Missbrauchsfall
Freiburg (dpa) - Nach dem jahrelangen Missbrauch eines Jungen im Raum Freiburg hat das Land Baden-Württemberg eine Untersuchung des Falles angekündigt. Die Rolle von Behörden und Justiz müsse kritisch hinterfragt werden, sagte Landessozialminister Manne Lucha (Grüne).
Es sei nicht gelungen, den heute Neunjährigen zu schützen. Das Kind war nicht dauerhaft aus der Familie genommen werden, obwohl ein vorbestrafter Sexualstraftäter verbotenerweise mit dem Jungen und deren Mutter zusammenwohnte. Die Polizei hatte die Behörden zuvor gewarnt.
Das Kind wurde den Ermittlungen zufolge von seiner 47 Jahre alten Mutter und deren 39 Jahre alten Lebensgefährten über das Internet Männern aus dem In- und Ausland gegen Geld für Vergewaltigungen überlassen. Es wurde demnach von mehreren Tätern wiederholt und an mehreren Orten in und um Freiburg missbraucht und vergewaltigt.
Das Jugendamt hatte den Jungen nach Hinweisen der Polizei im vergangenen März aus der Familie geholt. Zwei Gerichte hatten danach aber entschieden, dass der Junge zurück in die Familie komme.
Insgesamt sitzen wegen der Vergewaltigungen, die mehr als zwei Jahre gedauert haben sollen, acht Tatverdächtige zwischen 32 und 49 Jahren in Haft. In drohen nun, getrennt voneinander, Gerichtsverfahren.
„Soweit ich die Sachlage bis jetzt kenne, war es ja nicht so, dass die Behörden nicht auf die Missstände in der Familie hingewiesen hätten“, sagte der Minister: „Deshalb müssen wir nun auch mit den Kollegen der anderen Ministerien, also auch dem Justizministerium überprüfen, wo hier etwas schiefgelaufen ist.“ Zudem gehe es darum, dem Neunjährigen nun optimal zu helfen.
Das Oberlandesgericht (OLG) Karlsruhe wies am Montag Kritik an den Urteilen zurück. In der Mutter des Neunjährigen habe man keine Gefahr gesehen, sagte eine Sprecherin. Die Frau sei zuvor nicht mit dem Gesetz in Konflikt gekommen und habe nicht im Verdacht gestanden.
Zudem habe bereits das Gericht in der ersten Instanz angeordnet, dass der einschlägig vorbestrafte Lebensgefährte keinen Kontakt zu dem Kind haben und sich in der Wohnung nicht aufhalten dürfe. Dies habe die Mutter akzeptiert, auch in der zweiten Instanz. Daher seien die Richter davon ausgegangen, der Junge sei sicher. Der Lebensgefährte hatte sich den Ermittlungen zufolge aber nicht an die Anordnung gehalten und hatte trotz des Verbotes bei der Familie gelebt.
Der Präsident des Deutschen Kinderschutzbundes, Heinz Hilgers, forderte am Montag erneut, die Kinderrechte ins Grundgesetz aufzunehmen, so dass sich Entscheidungen stärker am Vorrang des Kindeswohls orientierten. Die Sprecherin des OLG Karlsruhe stellte klar, dass die Entscheidungen der beiden Gerichtsinstanzen im Einvernehmen mit dem Jugendamt getroffen worden seien. Lediglich die Mutter habe nach der ersten Instanz Beschwerde eingelegt und in der zweiten Instanz dann die Auflagen akzeptiert. Das Jugendamt habe gegen keine der beiden Richtersprüche Rechtsmittel eingelegt.
Ein erster Prozess im Freiburger Fall könnte Justizkreisen zufolge im Frühjahr beginnen. Dem Landgericht Freiburg liege bereits die erste Anklage vor, sagte ein Sprecher.
Der Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung forderte mit Blick auf den Fall unter anderem Verbesserungen bei den Jugendämtern. „Jugendämter brauchen mehr Personal, müssen besser hineinschauen können in die Familien“, sagte Johannes-Wilhelm Rörig am Montag im „Morgenmagazin“ von ARD und ZDF. Zudem müssten Familienrichter entlastet und fortgebildet werden.
Auch enge Angehörige des Lebensgefährten der Mutter wollen von dem Martyrium des Jungen nichts mitbekommen haben. Man habe ihm nichts angemerkt, sagten Mutter und Schwester in einem am Sonntagabend ausgestrahlten „Spiegel TV“-Bericht.