Determinismus: Kommt im neuen Jahr alles so, wie es kommen muss?

Die besten Wünsche in der Silvesternacht sind sinnlos – wenn das Weltgeschehen vorherbestimmt ist. Oder lenken Zufall, freier Wille und Gott unser Schicksal?

Düsseldorf. "Ein gutes neues Jahr! Mögen alle deine Vorsätze in Erfüllung gehen!" Der Wunsch ist gut gemeint. Aber er geht doch völlig ins Leere. Denn es kommt doch sowieso, wie es kommen muss und wie es seit Anbeginn der Welt vorherbestimmt - determiniert - ist. Wirklich?

Freunde der Astrologie, die meinen, dass die Konstellation der Sterne ihr Schicksal anzeigt, müssen wohl daran glauben, dass ihr Schicksal unabänderlich vorherbestimmt ist. Es steht fest, die Sterne zeigen es nur an.

Doch auch wer die Astrologie als Unsinn verwirft, kann zu einem solchen Schluss kommen. Zwar sagt uns unser Alltagsgefühl: Fest steht nur das, was in der Vergangenheit liegt. In der Zukunft sind die Dinge noch beeinflussbar. Und damit eben noch nicht determiniert. Doch kann es nicht doch sein, dass alles Geschehen seit Anbeginn der Zeit feststeht? Dass unser Leben nur ein Traum ist. Ein Traum, in dem nicht wir es sind, die träumen, sondern in dem wir geträumt werden. So wie die Figuren eines Romans, die glauben, sie lenkten ihre Schritte selbst - in Wirklichkeit ist das Buch aber längst bis zur letzten Seite beschrieben. Unabänderlich.

Wenn wir den Autor des Lebensbuches Gott nennen, so gibt es für diesen Gedankengang ein gutes Argument: Wenn Gott allwissend ist - und das müsste ihm doch zuzutrauen sein - dann weiß er alles, was jemals, auch in der allerfernsten Zukunft, passieren wird. Er kennt mein Todesdatum und das Todesdatum meiner Urenkel.

Wenn Gott diese Kenntnis hat, so heißt das doch, dass alle Ereignisse schon jetzt feststehen. Und zwar so feststehen, wie Gott sie geplant hat, denn er wird ja wohl nichts dem Zufall überlassen. Oder, wie Albert Einstein es mal gesagt hat: "Gott würfelt nicht."

Doch halt: Welchen Sinn sollte es dann haben, zu einem Gott zu beten, wenn das Schicksal ohnehin feststeht und nicht mehr beeinflusst werden kann? Und was wäre das für ein Gott, der auch das Böse und Niederträchtigste in dieser Welt so geplant hätte? Religionen wie das Christentum wissen, warum ein solcher Determinismus für sie nicht in Frage kommt. Ihr Gott hat die Macht, mit kleinen und großen Wundern in den Lauf der Dinge einzugreifen. Er kann das Buch des Lebens immer wieder umschreiben. Darum, so die Konsequenz, lohnt sich auch das Gebet.

Und nicht nur das erflehte Eingreifen Gottes, auch unser Tun kann doch wohl den Lauf der Welt verändern. Genauer: Das von unserem freien Willen gesteuerte Tun.

Aber haben wir ihn überhaupt, diesen freien Willen? Eben dies wird von Hirnforschern bestritten. So hat der amerikanische Neurophysiologe Benjamin Libet bereits 1979 die Hirnströme von Versuchspersonen gemessen, die zu einem selbst gewähltem Zeitpunkt einen Finger bewegen sollten. Ergebnis des Experiments: Das Bewusstsein, den Finger bewegen zu wollen, setzte bei den Probanden fast eine halbe Sekunde nach dem Moment ein, in dem das Gehirn bereits mit der Vorbereitung zur Ausführung der Bewegung begonnen hatte.

Das heißt: Die Entscheidung zu handeln findet unbewusst statt, das Bewusstsein segnet sie erst nachträglich ab. Wir tun nicht, was wir wollen, sondern wir wollen, was wir tun. Schon der römische Stoiker Seneca scheint das gewusst zu haben. Seine 2000 Jahre alte These: "Den Willigen führt das Schicksal, den Widerwilligen schleift es mit."

Nimmt man die Ergebnisse der Hirnforschung ernst, so hat das weitreichende Folgen - vor allem für das Recht des Staates zu strafen: Hat der Einzelne gar keine Wahl, sich für das Gute oder das Böse zu entscheiden, so darf man ihn doch auch nicht zur Verantwortung ziehen.

Was das praktisch hieße, lässt sich leicht ausmalen. Der Angeklagte könnte argumentieren: "Ich kann doch nichts dafür, meine Mordtat war von Anbeginn der Zeit vorherbestimmt." Doch auch der Richter hätte darauf eine passende Antwort: "Das mag sein, dann ist aber auch vorherbestimmt, dass ich Sie nun lebenslang hinter Gitter schicke."

Wenn wirklich alles vorherbestimmt ist und wir weder für unser schlechtes, noch für unser gutes Handeln verantwortlich sind - sind wir dann nicht seelenlose Roboter? Wie befreiend wäre dagegen der Satz: "Ich könnte auch anders handeln, wenn ich wollte." Das Schicksal wäre offen, beeinflussbar.

Eben diese Rettung versprechen die Quantenphysiker. Nach ihren Erkenntnissen funktioniert die Welt gerade nicht wie ein Uhrwerk. Zwar ist das Geschehen im Großen berechenbar. So können Astronomen genau voraussagen, an welchem Tag und zu welcher Minute es die nächste Sonnenfinsternis geben wird. Oder wann sich ein Komet der Erde nähern wird. Allerdings lassen sich Ereignisse auf der Ebene kleinster Teilchen nicht in dieser Weise vorausberechnen.

Seit Werner Heisenberg und Max Planck weiß man: Was auf dieser kleinsten Ebene passiert, das passiert in Quantensprüngen. Sprunghafte Veränderung, Spontaneität als Naturtatsache heißt aber auch: keine Berechenbarkeit.

Die Konsequenz: Wenn der Zufall auf der kleinsten Ebene regiert, so wirkt sich das doch auch auf das Größere aus. Wenn schon die Prozesse im Bereich der Elementarteilchen nicht determiniert sind, dann muss das doch auch Einfluss auf die größeren Systeme haben: auf die Lebewesen, auf ihre Handlungen, auf die Gesellschaft. Wo Zufall ist, da ist die Zukunft unbestimmt, da kann sie beeinflusst werden. Der Physiker Hans Peter Dürr: "Die Quantenphysik sagt uns, dass die Zukunft offen ist. Sie ist voller Möglichkeiten. Darin steckt ungeheuer viel Ermutigung. Wir leben in einer noch viel größeren Welt, als wir annehmen. Und wir können diese Welt gestalten!"

Aber: Selbst wenn die Zukunft für den Menschen nicht berechenbar ist - kann nicht trotzdem alles vorherbestimmt sein?

Vielleicht steckt ja hinter dem Zufall ein System, das wir nicht verstehen. Ein System, das unser Los doch von Anfang an festlegt. Oder wie der Philosoph Arthur Schopenhauer es ausdrückte: "Auch das Zufälligste ist nur ein auf entferntem Wege herangekommenes Notwendiges."

Sind wir also doch nur wie die Kinder, die stolz im Karussellauto sitzen und durch Betätigen des Lenkrades nur die Illusion haben, dass sie den Wagen durch die Kurve lenken? Und wäre das nicht sogar in gewisser Weise beruhigend: Sind die Weichen des Lebens ohnehin gestellt, muss ich mir doch auch nicht den Kopf zermartern.

In diesem Sinne scheint der Rheinländer mit seinem "Et kütt wie et kütt" schon immer Determinist zu sein. Gelassen all dem entgegen sehend, was ihm in den noch ungelesenen, aber längst geschriebenen Kapiteln seines Lebensbuches passieren wird.

"Ein gutes neues Kapitel" - wäre das nicht auch mal ein schöner Neujahrswunsch?