Die grelle Fernseh-Revolution feiert Geburtstag
Vor 30 Jahren starteten Privatsender mit ihrer Quotenjagd. Plötzlich wurde auf der Mattscheibe gezockt, getalkt — und sogar geheiratet.
Köln/München. Am Anfang hatte Sat.1 einmal die Nase vorn: Am 1. Januar 1984 um 9.58 Uhr geht der erste deutsche Privatsender unter dem Namen PKS (Programmgesellschaft für Kabel- und Satellitenrundfunk) aus einem Keller in Ludwigshafen auf Sendung. Einen Tag später startet RTL um 17.27 Uhr im luxemburgischen Dudelange: Der frühere ZDF-Moderator Rainer Holbe, gehüllt in einen OP-grünen Kittel, holt symbolisch einen Bildschirm auf die Welt.
Ein bescheidener Anfang, es gibt erst mal mehr Macher als Zuschauer. Das sollte sich zügig ändern: Das Privatfernsehen pflügt die deutsche Medienlandschaft gründlich um. Die Zuschauer werden geblendet von grellen und schnellen Bildern, von Zockershows wie „Geh aufs Ganze“, von der „Traumhochzeit“ vor laufender Kamera mit Linda de Mol, von Sexberatung mit Erika Berger.
Gedacht war das ganz anders. Die Unionsparteien hatten das Projekt Privatfernsehen vorangetrieben, während der damalige Bundeskanzler Helmut Schmidt (SPD) dies „gefährlicher als Kernenergie“ fand. Doch CDU und CSU suchten einen Gegenpol zum vorgeblichen Rotfunk in der öffentlich-rechtlichen ARD und erwarteten ausgerechnet vom werbefinanzierten Fernsehen eine Art weltanschauliche Volkshochschule in ihrem Sinne.
Genau das Gegenteil tritt ein. RTL und Sat.1 merken umgehend, dass politische Themen keine Quotenbringer sind — und nur die Quote zählt. Genauer gesagt, die Zahl jüngerer Zuschauer: Diese Zielgruppe grenzt der langjährige RTL-Geschäftsführer Helmut Thoma, der eigentliche Erfinder des Privatfernsehens, willkürlich auf 14 bis 49 Jahre ein (seit einiger Zeit sind auch Menschen bis 59 willkommen). Das hat zur Folge, dass Politiker fortgeschrittenen Alters — und das sind zu der Zeit noch alle Politiker — in den Nachrichten von RTL und Sat.1 gar nicht mehr vorkommen.
Andererseits sind Sat.1 und Erich Böhme mit dem „Talk im Turm“ Vorbild für die Polittalkshows von ARD und ZDF. Denn erst glauben die Öffentlich-Rechtlichen verblüffend lange, die neue Konkurrenz ignorieren zu können.
Als ihnen das wegen der steigenden Quoten der Privatsender vergeht, kopieren sie, was das Zeug hält: das Frühstücksfernsehen von Sat.1, Nachmittagstalkshows (erst hat RTL Hans Meiser, dann die ARD Jürgen Fliege), preiswert produzierte Endlosserien („Gute Zeiten, schlechte Zeiten“ läuft seit 1992 bei RTL, „Verbotene Liebe“ seit 1995 am ARD-Vorabend). Die Sat.1-Fußballshow „Ran“ mit Reinhold Beckmann setzt neue Standards in der Sportberichterstattung, da muss die ARD-„Sportschau“ nachziehen.
Zur Abrundung der abgekupferten Formate kaufen ARD und ZDF die Köpfe gleich mit: Thomas Gottschalk, Harald Schmidt und Günther Jauch wandern zwischen den Senderwelten.
Als das Grelle zur Gewohnheit wird, setzen die Privaten ohne Scheu auf Skandalträchtiges. „Big Brother“ und „Das Dschungelcamp“, „Deutschland sucht den Superstar“ und „Germany’s Next Topmodel“ lösen breite Debatten über Anstand und ethische Grenzen aus, doch die Quoten stimmen, jedenfalls ziemlich lange.
Und was bringt die Zukunft? Nach glorreichen Aufstiegsjahren haben die Privatsender inzwischen zu kämpfen, auch weil viele junge Zuschauer und mit ihnen Werbekunden ins Internet abwandern.