Leben in der Bauhaus-Villa „Die Zugezogenen“: Der Brexit wird Thema in der Kunst
Krefeld (dpa) - Das berühmte Haus Lange in Krefeld, entworfen von Bauhaus-Meister Mies van der Rohe, steht zum Verkauf. Nein, es ist bereits verkauft. Auf einem großen Maklerschild vor der Tür steht in dicken Lettern: Verkauft.
Ein Jaguar parkt daneben, mit Umzugsgepäck auf dem Dach. In den Fenstern des eleganten Rotklinker-Baus sind schon Lampen und bürgerliche Deko drapiert.
Das subversive Spiel mit Realität und Fiktion löste einige Aufregung in Krefeld aus. Natürlich würde sich die Stadt niemals von ihrer Ikone der Bauhaus-Architektur trennen. Am Werk war hier vielmehr das renommierte Künstler-Duo Elmgreen & Dragset. Die beiden skandinavischen Künstler haben ein hochaktuelles Thema in die Kunst geholt: den Brexit. Ins Haus Lange lassen sie in ihrer Ausstellung „Die Zugezogenen“ (19.2. - 27.8.) eine fiktive Familie einziehen. Sie hat Großbritannien wegen des bevorstehenden Austritts aus der EU verlassen.
Am Beispiel der Familie illustrieren der Däne Michael Elmgreen und der Norweger Ingar Dragset, wie das alte Europa durch Brexit und Nationalismus auf den Prüfstand kommt. Die Identitätskrise frisst sich in die fiktive Familie hinein - und offenbart Abgründe.
Im Haus steht schon der hochtrabend lange und schwarzlackierte Esstisch, gedeckt mit Porzellan und Kristallgläsern. Doch der Tisch ist in der Mitte zerbrochen. Über dem Kamin hängt das Bild des Sohnes in britischer Schuluniform. Doch darunter hockt der Junge als Skulptur zusammengekauert und verängstigt. Ein Metronom schlägt laut und aggressiv einen Takt - es steht auf dem Flügel, der natürlich in das gewollt großbürgerliche Ambiente gehört.
Das alles sind Artefakte eines scheinbar perfekten Interieurs, die die beiden Künstler und Biennale-Teilnehmer schon in anderen Ausstellungen präsentiert haben. Im Haus Lange vermengen sie die Kunstwerke mit den originalen Bauhaus-Sesseln und -liegen, so als gehöre das alles schon ewig zusammen. Realität und Fake sind kaum mehr auseinanderzuhalten. Sogar ein Interview mit den vermeintlichen „Zugezogenen“ ist kürzlich in der „Westdeutschen Zeitung“ abgedruckt worden. Die irritierende Fake-Kulisse wird auf vielen Ebenen gespielt.
Die europäische Geschichte sei die Inspiration gewesen, sagt Elmgreen, der übrigens selber noch vor dem Brexit-Votum der Briten aus Großbritannien weggezogen ist. „Plötzlich sind wir in einer Identitätskrise, weil Europa nicht mehr die führende Macht ist.“
Elmgreen & Dragset wollen „eine andere Art der Wahrheit“ zeigen. Die bildungsbürgerlichen Insignien vom Brockhaus bis zur Bronzeskulptur quellen aus den halboffenen Umzugskartons. Die Objekte seien „Indikatoren für die menschlichen Wünsche und Träume“, sagen die Künstler. „Aber keiner von uns kann das perfekte Leben leben.“ Das Alltägliche kollidiere mit der großen Idee des Modernismus.
Das in Berlin lebende Künstler-Duo hat schon öfter international Aufsehen erregt: So bauten sie etwa eine Prada-Boutique in die texanische Wüste und konzipierten eine vermeintliche Kunstmesse in Peking. In Krefeld demonstrieren sie das Scheitern der Ansprüche an der Realität auf ziemlich drastische Weise: Im Garten bauten sie einen Pool ein. Darin schwimmt, täuschend echt, die „Leiche“ eines Mannes im weißen Hemd. Die Schuhe hat er ordentlich nebeneinander an den Rand gestellt, bevor er sich ertränkt hat. Die Kuratorin Magdalena Holzhey sagt: „Das war wohl der Vorbesitzer des Hauses.“