Eike von Stuckenbrok: Hochkultur in Jeans und barfuß
Eike von Stuckenbrok ist Akrobat und doch mehr als das. Der 22-Jährige entwickelt seine eigenen Shows.
Düsseldorf/Münster. Wenn man Streit mit Eike von Stuckenbrok sucht, sollte man ihn vor 14 Uhr anrufen. Wahrscheinlich schläft der 22-Jährige dann noch. Und doch: Wenn man ihm einen Vorwurf ganz sicher nicht machen kann, dann den, ein verschlafener Faulenzer zu sein. Eike von Stuckenbrok ist Tänzer, Akrobat, Querkopf, Workaholic. Wenn er bis mittags schläft, war er auch bis in die frühen Morgenstunden auf den Beinen.
Derzeit tanzt er am GOP Varieté-Theater in Münster — und hasst gleichzeitig nichts mehr, als aufs Varieté reduziert zu werden. „Ich habe immer meine eigenen Sachen gemacht“, sagt er. „Ein dreifacher Salto ist für mich nicht so interessant.“ Nicht, dass er ihn nicht könnte. Aber wer ihm bei einer seiner Nummern zusieht, bekommt Akrobatik jenseits gängiger Standards geboten. Dass er sein Handwerk perfekt beherrscht — keine Frage. Dass er talentiert ist — geschenkt. Das Spannende an Eike von Stuckenbroks Darbietungen sind die Ideen, die dahinter stecken. „Ich bin kein Fan von traditionellem Zirkus“, sagt er. „Ich mag Tiefe.“ Aus dem Mund eines 22-Jährigen hört sich das erst einmal so an, als würde sich ein Jugendlicher in spätpubertärer Selbstüberschätzungsmanier ganz schön wichtig nehmen. Die Ernsthaftigkeit, mit der er seine Projekte angeht, bezeugt jedoch das Gegenteil.
Die Staatliche Schule für Artistik in Berlin war von Stuckenbrok zu eng, die hat er mit 17 Jahren geschmissen. „Ständig gab es Grundsatzdiskussionen“, erzählt er. „Was ist Artistik, was darf Artistik sein?“ In seinen Augen jedenfalls auch Hochkultur, die nicht in den immergleichen Nummern verharren muss. „Viele Artisten haben eine Nummer, und die perfektionieren sie ihr Leben lang — das ist nicht mein Ding.“ Er möchte „immer was Neues“ machen. „Ich beschäftige mich mit vielen Themen, rede mit meinen Freunden darüber. Und dann improvisieren wir eben.“
Geschadet hat es von Stuckenbrok indes nicht, dass er die renommierte Berliner Nachwuchsschmiede vorzeitig verlassen hat. Er kennt eine Menge Leute, irgendetwas ergibt sich immer. Neben den vielen Bühnenshows, die ihn international bekannt gemacht haben und Geld bringen, „machen wir aber auch viel für uns“, sagt er.
„Wir“ — das ist ein Team von Leuten, die Lust haben, sich auszuprobieren. Leute, die für eine gute Idee auch mal Zeit und Geld opfern. Mit ein paar von ihnen hat er das Programm „Dummy“ entwickelt, das gerade in Münster und demnächst in Berlin zu sehen ist. Regie geführt hat von Stuckenbrok erstmals selbst.
Mittelpunkt der Show sind überdimensionale Schaufensterpuppen, die mit den Tänzern verschmelzen. In Jeans und mit freiem Oberkörper scheint Eike von Stuckenbrok die Grenzen der Schwerkraft zu überwinden und liefert — nun ja — perfekte Unterhaltung. Aber eben mit Hintergedanken: „In unserer Gesellschaft werden wir doch mehr und mehr zu Dummys“, sagt er. „Das Stück soll dazu anregen, aus diesem Muster auszubrechen.“ Zu dieser Philosophie passt seine Arbeitskleidung: „Wenn ich mir eine neue Jeans kaufe, teste ich zuerst, ob sie auch einem Spagat standhalten kann.“