Ein Glückskind voller Wut
Der Lehrer Marco Schönecker hat bei dem Einsturz am 3. März 2009 sein Zuhause verloren. Heute wohnt der 38-Jährige weit weg von der U-Bahn-Baustelle.
Köln. Beim Einsturz des Kölner Stadtarchivs hat Marco Schönecker seine Wohnung verloren. Heute, ein Jahr später, empfindet er vor allem eines: Wut. "Denn ich habe das Gefühl, dass nicht genug getan wird, damit so was nicht noch mal passiert."
Die jüngsten Berichte über den Pfusch beim U-Bahn-Bau, zu dem fast täglich neue Einzelheiten ans Licht kommen, machen den 38-Jährigen fassungslos: "Mir scheint, dass das ökonomische Interesse nach wie vor höher gestellt wird als alles andere."
Auch wenn die Ursache für den Einsturz des Stadtarchivs noch nicht geklärt ist: Ein Zusammenhang mit der geplanten neuen U-Bahn-Strecke gilt als sicher - unmittelbar vor dem Archivgebäude in der Severinstraße befand sich eine tiefe Baugrube. "Mein Eindruck ist, dass man bei dem gesamten U-Bahn-Projekt völlig die Kontrolle über die Sicherheit verloren hat", sagt der Berufsschullehrer.
Bei ihm selbst weckt das Ganze schlimme Erinnerungen an den 3. März 2009. Der Lehrer war noch in der Berufsschule, als er in einer Pause den aufgeregten Anruf einer Nachbarin erhielt: Das Archiv sei eingestürzt, die Gebäude daneben kaputt - auch das Haus Nummer 232, in dem sich Schöneckers Dachgeschosswohnung befand. Schnell radelte er los und sah schon von weitem das Heer von Rettungsfahrzeugen.
In einem Zelt hatte die Stadt eine Anlaufstelle für Anwohner eingerichtet. "Nach und nach kamen immer mehr Nachbarn - aber es war total schlimm, weil wir nicht wussten, ob jemand bei dem Unglück gestorben war." Irgendwann waren alle Anwohner ausfindig gemacht - bis auf zwei junge Männer (17 und 24), die zum Zeitpunkt der Katastrophe zu Hause gewesen waren: Für sie kam jede Hilfe zu spät.
Nach einigen Tagen durften Schönecker und mehrere andere Nachbarn in Begleitung der Feuerwehr noch einmal in ihre Wohnungen, um wichtige Gegenstände herauszuholen. "Das war unheimlich." Einige Möbelstücke und eine Reihe anderer Dinge konnte er aus der Wohnung retten. Einen Tag später wurde das Gebäude abgerissen.
"Nach dem Unglück habe ich zunächst kaum schlafen können", berichtet er. Es waren Existenzängste. Nach etwa zwei Wochen ging es ihm aber langsam besser. Schon am Tag nach dem Einsturz war er wieder zur Arbeit gegangen. Der berufliche Alltag und viele Gespräche mit Freunden und Kollegen hätten ihm bei der Verarbeitung des Unglücks geholfen, sagt Schönecker.
Heute wohnt der 38-Jährige weit weg von der U-Bahn-Baustelle. Wie die anderen Betroffenen auch, hatte er unmittelbar nach dem Unglück von den Kölner Verkehrsbetrieben (KVB) eine Vorleistung von 10.000 Euro erhalten. Aber die Frage der Entschädigung ist auch ein Jahr später noch nicht abschließend geklärt.
Wenn er in der Nähe ist, geht Schönecker meistens an der Stelle vorbei, wo sich einst sein Wohnhaus befand. "Trotz allem: Ich sehe mich eigentlich nicht als Opfer, sondern als Glückskind", sagt er. "Denn ich bin dankbar, dass mir nichts passiert ist."