Euregionale: In Aachen morsen die Straßenlaternen
Was die Verwaltung ganz witzig findet, ist für viele Bürger blanker Unsinn und reine Geldverschwendung.
Aachen. Straßenlaternen fristen ein graues, unspektakuläres Dasein. Einer wie der andere stehen die langen Masten am Straßenrand, nie sind sie eines genaueren Blickes wert - bis jetzt. 102 Laternenmasten in Aachen sind mit Morsezeichen "beschrieben" - und entschwinden so plötzlich dem tristen Mauerblümchendasein. Aber viele Aachener reagieren mit Ablehnung und Unverständnis auf die aussagekräftigen Masten.
Christina Keber gehört dazu. "Was soll denn dieser Unsinn?" Außerirdisch mute das an. Und lesen könne das sowieso niemand. "Man soll also im Zeitalter des Internet wieder zurück zum Morsealphabet. Die alte Kriegsgeneration, die kann damit vielleicht noch etwas anfangen. Ich nicht", meint sie bissig.
Die schmalen weißen Ringel auf grauem Grund stehen für einen Punkt, die breiten für einen Strich. Menschen, die des speziellen Alphabets mächtig sind, müssen schon den Kopf in den Nacken werfen, um von unten nach oben lesen zu können "Weiß" und am nächsten Mast von oben nach unten "Weg". Die Masten sind so im Wechsel beschrieben. Die Morsezeichen auf den Laternenmasten sind eine Variante der Markierungen für den "Weißen Weg".
Der etwa 30 Kilometer lange Weg ist Teil des laufenden Strukturförderprogramms des Landes für die Euregionale und verläuft durch typische Landschaften in der nördlichen Region Aachens. Der Wegabschnitt mit den Laternenmasten führt durch eines der schönen Wohngebiete Aachens, unweit des Reitstadions in der Aachener Soers.
"Was soll das? Ich sehe keinen Sinn darin", sagt die Franziskanerschwester Dolores deutlich. Sie wohnt zwar in einem ganz anderen Stadtviertel, kann sich aber trotzdem darüber aufregen. Für sie sind die Ringel einfach nur Geldverschwendung.
17 000 Euro kostete nach Angaben der Stadt das Bemalen der Straßenlaternen. Aus ihrer eigenen Schatulle muss sie nur 3400 Euro drauflegen. Den Rest übernehme das Land im Rahmen der Euregionale. "Die Laternenmasten müssen ohnehin alle zehn Jahre gestrichen werden", betont die Stadt den praktischen Nutzen. Man habe nach einer kostengünstigen, harmlosen, außergewöhnlichen und vielleicht sogar auch witzigen Kennzeichnung gesucht.
Maria Deubner wohnt in dem Viertel. Aber lachen kann die Frau über die Masten nicht. Sie kann sich auch nicht ärgern. Sie kann im Moment noch gar nichts mit den bemalten Masten anfangen. "Ich weiß nicht, was ich davon halten soll. Ich habe noch keine Meinung dazu."
Björn Troll arbeitet für das Planungsbüro BKR, das den "Weißen Weg" und die Markierung geplant hat. "Die Markierung hat eine künstlerische Note", sagt er. Und das sei allemal schöner, als wenn man auf jeden Laternenmast "Weißer Weg" drauf geschrieben hätte, meint er. Der "Vater" der Morsezeichen sei ein kreativer Kopf der städtischen Verwaltung gewesen.
Joachim-Gerhard Dziwisch hält diesen Mann für einen Künstler, ohne ihn zu kennen. Dziwisch bemalt seit Wochen Laternenmasten. Und er ist begeistert von der Idee. "Dieser Mann hat in Aachen ein Zeichen gesetzt. Das gibt es nirgendwo anders in Deutschland", sagt der Arbeiter einer Kölner Firma. Fotos hat er von den Masten gemacht und sie seiner Familie gezeigt. Er selbst hat sich per Internet mit dem Morsealphabet auseinandergesetzt. "Das Schwarze sind die Pausen", erklärt er die Zeichensprache auf dem Mast.
Markus Hillebrand hat das nicht gewusst. "Im Vorbeifahren habe ich gedacht, es ist etwas Verkehrstechnisches", bekennt er. Die künstlerische Note kann er nicht recht erkennen. "Daran hätte ich dabei nie gedacht."