Freie Fahrt durch das Revier
Dem Ruhrgebiet wird in Oberhausen ein Denkmal im Maßstab von 1:87 gesetzt.
Oberhausen. Das alte Autohaus in Oberhausen wirkt verlassen. Braune Papierbahnen sind von innen gegen die Schaufenster geklebt. Hinter dem Sichtschutz aber verbirgt sich ein Mikrokosmos. Seit Anfang des Jahres entsteht in jener Halle eine Industrieregion - im Maßstab 1:87. "Die Modellbahnwelt Oberhausen (MWO) wird zwar nicht ganz so groß wie ähnliche Projekte in Berlin oder Hamburg ausfallen", sagt der Geschäftsführer Georg Rinneberg, "aber sie soll die authentischste Anlage des Landes werden." Die Eisenbahnlandschaft wird am 1. August eröffnet.
Auf 420 Quadratmetern Sperrholzplatten werden dann markante Ecken des Ruhrgebietes gezeigt. Der Zeitraum 1965 bis 1977 wird detailgetreu dargestellt. Rinneberg wählte diese Epoche nicht nur, weil sie mit ihren Dampflokomotiven für Modelleisenbahnliebhaber besonders reizvoll ist.
Er möchte damit auch den Strukturwandel der Industrielandschaft sichtbar machen. Im zweiten Bauabschnitt soll die Gegenwart gezeigt werden. Dann könne der Besucher genau vergleichen. "Dort, wo früher Kaninchenställe hinter den Bergarbeiterhäusern standen, wird dann eine Grillparty zu sehen sein", so Rinneberg.
Rinneberg rechnet mit 400 000 Besuchern im Jahr. Noch aber haben die Mitarbeiter der MWO viel zu tun, denn manche Landschaft ist noch nicht ganz fertig. Ein schmaler Weg vom Ufer des Baldeneysees führt einen schroffen Abhang hinauf zu einer Sperrholzplatte in der Größe eines Küchentischs.
"Die Villa Hügel wird erst morgen angeliefert", sagt ein Monteur, der sich unter der Holzplatte mit einem Lötkolben zu schaffen macht. Die eher unbekannten Gebäude hat man als Bausätze bei den entsprechenden Fachfirmen bezogen. Die Attraktionen aber sind Handarbeit.
"Sowohl historische Bilder aus Stadtarchiven wie auch Fotos aus der Gegenwart haben wir eingescannt", sagt Rinneberg. Mit Hilfe von speziellen Computerprogrammen und Lasern konnten dann die Außenmauern detailgenau nachgebildet werden. Stolz zeigt der MWO-Geschäftsführer die Fassade einer alten Fabrikhalle.
Jede Mauerfuge ist nicht nur zu sehen sondern auch zu fühlen. Außer der Villa Hügel gibt es noch den Duisburger und den Dortmunder Hafen, die Zeche Zollverein, den Gasometer Oberhausen und mehrere Bahnhöfe zu bewundern.
Es imponieren weniger die Attraktionen, die man von Postkarten und aus Bildbänden kennt, sondern die kleinen Alltagsszenen. Auf einem Balkon sonnt sich eine blonde schöne Miniaturdame in ihrem noch recht züchtig geschnittenen Bikini, während ihr Mann mit einer Flasche Bier in der Hand am Geländer steht. Am Rand der Kopfsteinpflasterstraße parken ein Käfer und ein Ford Taunus vor der noch nicht beseitigten Ruine eines ausgebombten Hauses.
Die Miniaturlandschaft lädt zur Zeitreise ein und soll Geschichtsinteressierte anlocken. Rinneberg hat Museumspädagogen beauftragt, hierfür Konzepte zu verfassen. Besonders dann, wenn beide Bauabschnitte im Laufe des kommenden Jahres fertiggestellt sind, werde der Besucher eindrucksvoll den Strukturwandel der ehemaligen Industrieregion erleben können.
Die Leistung, mit der die Menschen hier ihre Lebenswelt neu erfanden und gestalteten, beeindruckt Rinneberg. "Dabei wollen wir nicht so sehr die Leuchtturmprojekte zeigen", versichert der Modellbahnmanager. "Die kleinen Leute mit ihren Ideen und Initiativen schaffen doch den Strukturwandel hier." Damit meint Rinneberg auch seinen Betrieb mit etwa 50Angestellten, 250 Lokomotiven, 750 Weichen und 4800 Metern Schienen.