Geschwisterliebe: Ihre Liebe bleibt verboten

Patrick S., der vier Kinder mit seiner Schwester Susan zeugte, muss dafür ins Gefängnis.

<strong>Karlsruhe. Die Geschichte des Leipziger Geschwisterpaars Patrick und Susan hat auch in Karlsruhe für die beiden kein gutes Ende gefunden. Es ist eine traurige Geschichte, die von verbotener Liebe handelt und von einem der ältesten Tabus der Menschheit - ein Tabu, an dem auch das Bundesverfassungsgericht nicht zu rühren wagt. Blutschande hieß es früher, heute spricht das Strafgesetzbuch von "Beischlaf zwischen Verwandten". Die Bezeichnungen wechseln, doch seit Donnerstag steht fest: Inzest bleibt in Deutschland strafbar. Zunächst sah es so aus, als hätten Patrick S. und Susan K. vor etwa acht Jahren ihr Glück gefunden. Patrick war 23 Jahre alt, als er Susan kennenlernte. Bis dahin war es für ihn nicht sonderlich gut gelaufen: Als Dreijähriger wird er von seinem Vater, einem Alkoholiker, misshandelt. Die Polizei bringt ihn ins Heim, dann kommt er zu Pflegeeltern, die den Jungen adoptieren. Schließlich, im Jahr 2000, nimmt er Kontakt zu seiner leiblichen Mutter auf. Dort lernt er die 16-jährige Susan kennen, seine Schwester. Die beiden verlieben sich, zeugen vier Kinder, zwei von ihnen sind behindert. Gäbe es nicht jenen Paragrafen 173 des Strafgesetzbuchs, wären sie heute vielleicht eine glückliche Familie. Doch die Justizbürokratie nimmt ihren Lauf. Die beiden dürfen die Kinder nicht behalten, nur das 2005 geborene Kind darf bei der Mutter bleiben. Amtsgerichte verhängen Haftstrafen, ein, zwei, drei Mal. Auch Susan wird verurteilt, aber wegen ihrer Unreife nach Jugendrecht. Sie wird unter Aufsicht einer Betreuungshelferin gestellt. Das Bundesverfassungsgericht bewahrt Patrick im Frühjahr 2007 vorerst vor einem weiteren Gang ins Gefängnis, um sich dem komplizierten Fall in Ruhe zuzuwenden.

Richter Hassemer wollte helfen - doch er setzte sich nicht durch

Zuständig in Karlsruhe war Winfried Hassemer, Vizepräsident des Gerichts. Es sollte seine letzte große Entscheidung vor der Pensionierung werden. Ein Fall wie gemacht für den Frankfurter Professor, einen der klügsten Köpfe der deutschen Strafrechtslehre, der sich wie kaum einer mit den Grenzen des Rechts und dessen Schnittmengen mit der Moral auskennt. Hassemer hätte Patrick und Susan geholfen, er hätte das Inzestverbot aufgehoben - doch seine Kollegen überstimmten ihn. Und die Mehrheit des Senats gräbt tief in der Rechtsgeschichte nach Argumenten für das Verbot. Vom Kodex Hammurabi über das mosaische, das islamische, das römische Recht bis zur Bamberger Halsgerichtsordnung finden sich Inzestverbote. Das Reichsstrafgesetzbuch von 1871 stellte die Blutschande unter Strafe. Ein Versuch, das Verbot wegen Bestrafung bloßer Unmoral zu streichen, wurde 1909 abgewehrt - Inzest sei der schwerste Angriff auf das "sittliche Wesen der Familie". Die reformfreudigen 60er Jahre schafften die Strafbarkeit des Ehebruchs und der Homosexualität ab - doch das Inzestverbot blieb. Hassemers Minderheitsvotum lässt selbst das scheinbar beste Argument für das Verbot - das unzweifelhaft erhöhte Risiko von Erbschäden - fragwürdig erscheinen. Würden drohende genetische Defekte ein Verbot der Zeugung von Nachkommen rechtfertigen, dann gälte das auch für andere Risikogruppen, wie Behinderte oder Frauen über 40. Vor allem aber wirft Hassemer seinen Kollegen vor, Recht und Moral miteinander zu vermengen. Diese flankieren ihre Argumente mit dem Hinweis auf eine "kulturhistorisch begründete, nach wie vor wirkkräftige gesellschaftliche Überzeugung von der Strafwürdigkeit des Inzests" - eine Kategorie, die laut Hassemer im Strafrecht nichts zu suchen hat: "Ich halte das für den Schutz einer gesellschaftlichen Moralvorstellung." Erbkrankheit: Großes Risiko, behindertes Kind zu bekommenGefahr liegt bei 40 bis 50 Prozent. Bei Cousins und Cousinen sind es sechs Prozent. Geschwisterpaare haben aus medizinischer Sicht ein extrem großes Risiko, ein geistig oder körperlich behindertes Kind zur Welt zu bringen. "Die Gefahr ist dann deutlich erhöht und liegt bei 40 bis 50 Prozent", sagt der Chef des Instituts für Humangenetik in Heidelberg, Claus Rainer Bartram. Grund dafür sei, dass Geschwister 50 Prozent der Erbinformationen gemeinsam haben. Dadurch sei die Wahrscheinlichkeit groß, dass ein Kind das Gen für eine Erbkrankheit vom Vater und von der Mutter erhält. So könnten zwei Gene mit Defekten aufeinandertreffen und eine Behinderung entstehen. Mutationen in Genen gebe es zwar bei jedem Menschen. Bei gewöhnlichen Elternpaaren könne das gesunde Gen des einen Elternteils jedoch oft das defekte des anderen ausgleichen.

Cousins und Cousinen, deren Beziehung oder Heirat erlaubt ist, "haben nur ein Achtel des Erbguts gemeinsam", erläutert Bartram. Deren Risiko, ein behindertes Kind zur Welt zu bringen, liege bei sechs Prozent. "Und bei gesunden, nicht verwandten Paaren liegt das Risiko bei drei Prozent."

Absatz 2 Wer mit einem leiblichen Verwandten aufsteigender Linie den Beischlaf vollzieht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft; dies gilt auch dann, wenn das Verwandtschaftsverhältnis erloschen ist. Ebenso werden leibliche Geschwister bestraft, die miteinander den Beischlaf vollziehen.

Gesellschaftliches Tabu Das Inzesttabu ist zwar als moralische Norm in nahezu allen Gesellschaften verankert, Verstöße werden aber nicht überall strafrechtlich verfolgt.

1. Leiblichen Geschwistern ist nur der Beischlaf verboten, andere sexuelle Handlungen aber nicht. Obwohl ein entsprechendes Verhältnis wohl genau so dem Schutz der Familie zuwiderläuft, den der Paragraph doch im Sinn hat.

2. Der Beischlaf ist auch dann verboten, wenn Verhütungsmittel genommen werden, das Argument der Erbgutschädigung von Nachkommen also nicht zieht.

3. Auch gleichgeschlechtlichen Geschwistern oder Stiefgeschwistern verbietet die Vorschrift nichts. Wo bleibt denn in diesen Fällen der Schutz der Familie?

4. Selbst bei leiblichen Geschwistern bleibt der Inzest straflos, wenn sie noch nicht 18 sind. Gerade in den Jahren davor könnte bei denjenigen, die die natürliche Inzest-Scheu nicht haben, therapeutische Hilfe eingeleitet werden - statt später mit dem Strafrecht zu "reparieren".