125 Jahre Ku'damm: Der Boulevard gibt sich mondän
Berlin (dpa) - Im Schaufenster der Juweliere glitzern Diamanten, das Handtäschchen nebenan kostet 1500 Euro und die Namen der Kanzleien sind in edles Metall gestanzt.
So präsentiert sich der neue Berliner Westen, gebündelt am Kurfürstendamm zwischen Knesebeck- und Giesebrechtstraße. 125 Jahre Ku'damm feiert Berlin in diesem Mai. Tourismusexperten sehen die Luxusgeschäfte mit Wohlwollen und glauben an eine Renaissance der gesamten Gegend um den Bahnhof Zoo und die Gedächtniskirche. Stadtforscher zweifeln jedoch, dass dieser Kiez, der zu Mauerzeiten das künstliche Herz Westberlins war, dem alten Zentrum Unter den Linden Paroli bieten kann.
Stöckelschuhe klackern auf dem oberen Kurfürstendamm, die Pelzmantel-Dichte ist hoch, Hochsteckfrisuren aus gefärbtem Blondhaar sind schwer beliebt. Man spricht russisch, die Limousine wartet. Weiter östlich ist der Ku'damm für alle da, die Kettenläden der Mode- und Schuhhäuser locken die Massen. Hier ist der Boulevard eine normale und umsatzstarke Großstadt-Einkaufsstraße - wären da nicht noch der klangvolle Name und die wechselvolle Geschichte.
Sie reicht von den mondänen Anfangszeiten als protziges Großbürger-Quartier zuerst bis in die blühenden, wilden 20er Jahre. Damals steppte der Bär im Westen, der Osten galt als biederer. Nach Nazis und Zerstörung bekommt der Ku'damm eine neue Funktion: Schaufenster des Westens im Kalten Krieg. In den späten 60er Jahren wird die Gegend zum Schauplatz erbitterter Auseinandersetzungen zwischen Studenten und Staat. Danach gibt es noch ein bisschen Amüsement - bis zum Niedergang in den 80er Jahren. „Buletten- Boulevard“ hieß der Ku'damm da abschätzig, voller Billigläden, Fast- Food-Lokalen und Unterhaltung für Schulklassen aus Westdeutschland. Dann fiel die Mauer und alle Blicke gingen nur noch nach Osten.
Aus diesem Tief hat sich der Kurfürstendamm langsam aufgerappelt. „Es strömt wieder Geld in den Westen“, sagt Burkhard Kieker, Geschäftsführer der Tourismusorganisation Visit Berlin. Der Boulevard könne neben Friedrichstraße und Gendarmenmarkt existieren. „Beides lebt“, betont Kieker. Der Berliner Osten sei nun fast fertig saniert und der Blick wende sich wieder nach Westen. „Das Pendel schlägt zurück“, ist Kieker überzeugt. Die Galerien, die vielen kleinen Läden in den Seitenstraßen des Kurfürstendamms, das alles sei attraktiv für Berliner und Touristen. Allerdings ziehe der Boulevard ein anderes Publikum an als die neue Mitte. Die Flaneure hier sind älter - und sie haben meist eine dickere Brieftasche.
Auch Investoren haben den Westen wiederentdeckt. Doch der Stadtsoziologe Hartmut Häussermann misst dieser Entwicklung noch keine große Bedeutung bei. „Der Kurfürstendamm ist kaum mehr als hochkreativer Konsum“, urteilt der emeritierte Professor der Humboldt-Universität. Die City West zu einer Art zweitem Stadtzentrum zu erheben, das sei „lächerlich“.
Was dem Kurfürstendamm heute fehlt, sind die berühmten Gäste, die dem Boulevard zu seinen besten Zeiten ein Flair des Sehen-und- Gesehen-Werdens verliehen. Es gibt kein „Romanisches Café“ mehr, in dem sich Künstler und Intellektuelle treffen. Das Café Kranzler ist zu einer Rotunde auf einem Bekleidungshaus geschrumpft. Die einstigen Star-Gäste des Kempinski-Hotels Bristol sind fast alle tot. Berlinale-Prominenz tummelt sich heute überwiegend am Potsdamer Platz. Politische Kundgebungen gibt es im Westen selten.
Angestaubt finden viele Jüngere die Atmosphäre am Kurfürstendamm. Im besten Sinne konservativ, sagen die Älteren. Ein ruhender Pol sei die Gegend - verglichen mit dem Durchlauferhitzer im Berliner Osten. Im Westen werben Lokale nicht damit, dass sie hip sind, sondern dass es sie vor 40 Jahren auch schon gab. Tradition verpflichtet. Teure Autos werden hier spazieren gefahren und nicht abgefackelt. Der Kiez gibt sich gesetzt, nicht gehetzt. Und gern auch wieder ein bisschen mondän. In einem Punkt sind sich die Hauptstadt-Experten einig: Die Stadt verträgt dieses Wechselbad der Berlin-Gefühle. Sie ist groß genug - und bietet für jeden etwas.