Anna Maria Mühe zu NSU-Dreh: Konnte nicht abschalten
Berlin (dpa) - Während Beate Zschäpe in München vor Gericht steht, erzählt Anna Maria Mühe vor der Kamera in einem ARD-Film die Geschichte der mutmaßlichen Rechtsterroristin. Die 30-Jährige sprach mit der Deutschen Presse-Agentur über die Dreharbeiten, den Mythos Zschäpe und das Grölen von Parolen.
Die ARD strahlt vom 30. März an (20.15 Uhr) den Programmschwerpunkt „Mitten in Deutschland: NSU“ aus.
Frage: Wie war es, Beate Zschäpe zu spielen?
Antwort: Es war eine wahnsinnig intensive Zeit. Wenn abends die Kamera aus war, haben wir noch zu dritt auf dem Balkon gesessen und über den nächsten Tag gesprochen. Es war ein ständiger Arbeitsprozess. Schwierig war für mich, einen ruhigen Schlaf zu finden. Tagsüber „Heil Hitler“ durch Jena zu grölen, lässt sich nicht so einfach abschütteln. Ich würde sagen, das war der erste Dreh, bei dem ich nicht einfach abschalten konnte.
Frage: Wie haben Sie sich vorbereitet?
Antwort: Wir haben intensiv umfangreiches Dokumaterial geschaut. Wir haben Bücher gelesen - unter anderem den „Heimatschutz“ von Stefan Aust. Wir haben ein extremes Sportprogramm absolviert und waren auf strenger Diät, weil die daraus resultierende Klarheit existenziell wichtig für die Rolle war. Wir haben uns mit Zeitzeugen getroffen, zum Beispiel mit dem ehemaligen Neonazi und Aussteiger Ingo Hasselbach. Das war eine große Bereicherung und Inspiration, weil er in einem sehr jungen Alter in der Szene in Berlin aktiv war. Wir haben einfach sehr viel Zeit zu dritt verbracht, auch in Jena.
Frage: In der Heimatstadt der mutmaßlichen NSU-Terroristen?
Antwort: Wir haben uns viele der bekannten Orte angeschaut. Die hat uns Albrecht gezeigt (Anm.: Albrecht Schuch spielt Uwe Mundlos). Er ist in der Stadt aufgewachsen. Man kann sich die Adressen quasi ergoogeln. Ich glaube, wir haben alles aufgesaugt, was es aufzusaugen gibt.
Frage: Als Ihnen die Rolle angeboten wurde, haben Sie lange überlegt?
Antwort: Es war diesmal etwas anders. Ich hatte mich mit Regisseur Christian Schwochow getroffen, was wir seit „Novemberkind“ immer mal wieder machen. Bei der Gelegenheit hat er mir von diesem Projekt erzählt. Dann habe ich relativ spontan gesagt: „Ich spiele dir das.“ Daraufhin schickte er mir das Drehbuch und lud mich zum Casting ein.
Frage: Und Sie haben es gleich gelesen?
Antwort: Sofort. Ich habe ihn dann angerufen und gefragt: Bist du sicher, dass du mich darin siehst? Ich kann mir das nicht vorstellen, so einen extremen Rechtsradikalismus authentisch darzustellen. Aber ich habe ziemlich schnell gemerkt, dass das Drehbuch etwas Wertvolles ist, dem konnte ich mich trotz großer Unsicherheit nicht entziehen.
Frage: Warum so wertvoll?
Antwort: Es war extrem gut recherchiert, zudem ist es ein brandaktuelles Thema. Hinzu kommt, dass der NSU-Prozess noch läuft, was dazu führt, dass kaum definitive Aussagen möglich sind. Außerdem war es ein großer Druck für mich, diese Figur zu spielen.
Frage: Das müssen Sie erklären.
Antwort: Jeder meint, ein klares Bild von Beate Zschäpe zu haben. Und wenn das Bild nur ist: Die Frau ist ein Mythos. Ich werde es nicht schaffen, jedem zu gefallen in meiner Version der Beate Zschäpe, und das ist für mich eine neue Herausforderung.
Frage: Denken Sie, es gibt wirklich so einen Mythos?
Antwort: Der Mythos ist eben, dass sie nicht greifbar gewesen ist. Auch für mich in der Vorbereitung war es schwer, Ansatzpunkte zu bekommen, bei denen man sagt: Das könnte sie auch mal sympathisch aussehen lassen. So dass der Zuschauer plötzlich erschreckt und sagt „Oh Gott, ich fand die gerade ganz nett.“ Wir wollen natürlich auch provozieren. Wir wollen zeigen: Menschen werden nicht böse geboren.
Frage: Es gab auch bei dem vorhergehenden ZDF-Film die Frage, ob es nicht schwierig ist, ein Bild von jemandem zu schaffen, von dem wir relativ wenig wissen. Hat Sie das beschäftigt?
Antwort: Ja, aber es hat mir natürlich auch unglaublichen Freiraum gegeben als Schauspielerin. Ich konnte die Lücken, die keiner zu beantworten weiß, füllen mit meiner freien Interpretation.
Frage: Aber prägt man damit nicht auch das Bild von jemandem?
Antwort: Ich weiß gar nicht, ob ich dafür zuständig bin, ein Bild mit zu prägen. Das würde ich auch zu einfach finden. Dafür sind wir ein fiktionaler Film. Da können wir die Dinge mit einem bestimmten Abstand sehen.
Frage: Erschreckt Sie, was derzeit zum Beispiel in Sachsen passiert?
Antwort: Ja, es macht Angst. Ich finde es wahnsinnig erschreckend, dass das rechte Gedankengut in der Mitte unserer Gesellschaft angekommen ist. Und dass Nazis profitieren könnten von dem, was gerade passiert. Ich hoffe, dass die drei Filme ein bisschen was dazu beitragen, dass man die Augen neu öffnet und noch mal neu hinschaut.
ZUR PERSON: Anna Maria Mühe (30) wurde in Berlin geboren. Sie ist die Tochter der Schauspieler Jenny Gröllmann und Ulrich Mühe („Das Leben der anderen“). Ihr Filmdebüt gab sie 2002 im Teeniefilm „Große Mädchen weinen nicht“, sie spielte auch in „Was nützt die Liebe in Gedanken“ und „Novemberkind“. 2012 wurde sie auf der Berlinale als deutscher Shootingstar vorgestellt. Die Jury lobte ihre atemberaubende Wandlungsfähigkeit.