Debatte um Sexismus-Vorwürfe
Berlin (dpa) - Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat sich in die Debatte um Sexismus-Vorwürfe gegen FDP-Fraktionschef Rainer Brüderle eingeschaltet. Sie warb für einen professionellen Umgang zwischen Politikern und Journalisten.
„Die Bundeskanzlerin steht selbstverständlich für einen menschlich professionellen und respektvollen Umgang in der Politik wie auch zwischen Politikern und Medienvertretern“, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert am Freitag in Berlin. Zu dem Artikel des Magazins „Stern“, in dem Brüderle anzügliche Anspielungen gegenüber einer Journalistin vorgeworfen werden, wollte sich Seibert nicht äußern.
Eine Sprecherin des Bundesfrauenministeriums erklärte, sexuelle Belästigung sollte, unabhängig vom Einzelfall, als Dauerthema diskutiert werden. Es gebe eine hohe Zahl von Frauen, die damit konfrontiert seien. Sie verwies auf eine von dem Ministerium in Auftrag gegebene Studie aus dem Jahr 2004. Danach gaben 58 Prozent der befragten Frauen an, mindestens einmal Opfer von sexueller Belästigung geworden zu sein, davon 42 Prozent am Arbeitsplatz.
Auch Grünen-Chefin Claudia Roth kritisierte alltäglichen Sexismus in der Gesellschaft. „Es ist unfassbar, wie viele Männer es gar nicht merken, wenn sie Diskriminierungen herunterspielen oder sogar meinen, sexistisches Verhalten sei schlicht ihr gutes Recht“, sagte Roth „Spiegel Online“. „Die Art der Debatte um alltäglichen Sexismus und um die Frauen, die es einmal deutlich aussprechen, zeigt wie salonfähig Sexismus heute immer noch ist.“ Es sei „sehr bezeichnend, dass jetzt die Journalistinnen für das Thematisieren angegriffen und zu Täterinnen gemacht werden sollen.“
Die Journalistin Wibke Bruhns dagegen äußerte sich sehr kritisch über die Sexismus-Vorwürfe gegen Brüderle. „Die Geschichte ist journalistisch unseriös“, sagte die ehemalige politische Korrespondentin (74) dem „Tagesspiegel“ aus Berlin (Freitag). „Die FDP hat einen neuen Spitzenkandidaten, das ist ein Thema - und nicht die Probleme von Frau Himmelreich mit Herrn Brüderle. Der "Stern" hat hier eindeutig aus Kalkül gehandelt, um Schlagzeilen zu machen.“ Zu den Vorwürfen gegen Brüderle sagte Bruhns der „Süddeutschen Zeitung (SZ/Freitag): „Ich finde es nicht in Ordnung, wenn er es getan hat. Aber ich weiß nicht, ob der "Stern" nicht doch etwas mehr über Brüderle schreiben sollte, wenn er 40 Jahre in der Partei war, wird er auch etwas geleistet haben.“
Die Sexismus-Debatte wurde auch intensiv in den sozialen Netzwerken geführt. Im Kurzmitteilungsdienst Twitter teilten unzählige Menschen unter dem Hashtag (Stichwort) #aufschrei ihre Erfahrungen mit alltäglichem Sexismus mit. Der Begriff #aufschrei war deutschlandweit bereits am Morgen der meistgenannte Begriff. Im Sekundentakt gingen neue Tweets ein. Sogar weltweit erreichte der Begriff in den sogenannten Trending Topics einen Platz unter den ersten Zehn. Vor allen Frauen twitterten über erlebte Beleidigungen, Diskriminierungen und Übergriffe. Aber auch Männer beteiligten sich an der Diskussion.
„Stern“-Chefredakteur Thomas Osterkorn hatte das Brüderle-Porträt bereits am Donnerstag in einem dpa-Gespräch verteidigt. Die Kollegin habe Brüderle über einen längeren Zeitraum beobachten wollen. Am Anfang der Recherche habe ein unerfreuliches Erlebnis gestanden. „Im Laufe der Recherche hat sich gezeigt, das es offensichtlich ein Grundmuster seines Verhaltens gegenüber Frauen ist.“