Genauer hinschauen: Junge Flüchtlinge und die Kriminalstatistik

In den ersten Monaten nach ihrer Ankunft werden Flüchtlinge nur selten straffällig. Später kann sich das ändern. Vor allem junge, alleinstehende Männer mit schlechter Bleibeperspektive fallen häufig durch Gewaltkriminalität auf. Für politisch Verfolgte gilt das nicht.

Drei junge Männer stehen am Zugang zu einer Erstaufnahmeeinrichtung. Archivbild.

Foto: Carsten Rehder

Berlin. Seit zwei Jahren nimmt die Gewaltkriminalität wieder zu. Das hat auch mit dem Zuzug von Menschen zu tun, die nach Deutschland gekommen sind, um Krieg, politische Verfolgung oder wirtschaftliche Misere hinter sich zu lassen. Ein Generalverdacht gegen Flüchtlinge ist trotzdem nicht angebracht, wie der Blick in die Statistik zeigt. Eine neue Studie des Kriminalwissenschaftlers Christian Pfeiffer zeigt, wo einige der Probleme liegen.

Nein. Die Kriminalstatistik für 2016 zeigt, dass Asylbewerber, wenn man von Verstößen gegen das Aufenthaltsgesetz absieht, nicht häufiger straffällig werden als Deutsche oder andere Migranten. Überdurchschnittlich hoch ist ihr Anteil an den Tatverdächtigen allerdings, wenn man nur auf gefährliche Körperverletzung, Mord, Totschlag, Vergewaltigung und sexuelle Nötigung schaut. Hier liegt ihr Anteil bei jeweils rund 13 Prozent.

Pfeiffer hat sich für seine Studie zwar vor allem Tatverdächtige in Niedersachsen angeschaut. Das Bundesinnenministerium sieht aber durchaus „Überschneidungen“ mit den Ergebnissen bundesweiter Erhebungen. Pfeiffers Studie hält fest: Straftaten von Menschen, die nicht dem eigenen Umfeld angehören, werden häufiger angezeigt. Außerdem: Männliche Jugendliche und junge Erwachsene sind bei Sexual- und Gewaltdelikten grundsätzlich überrepräsentiert. Das gilt nicht nur für Flüchtlinge. Der Anteil der männlichen 14- bis 29-Jährigen ist unter den Asylbewerbern und anerkannten Flüchtlingen allerdings deutlich höher als in der Wohnbevölkerung insgesamt.

Viele Flüchtlinge, die 2015 und 2016 gekommen sind, stammen aus Kriegs- und Konfliktgebieten wie Syrien, Afghanistan und dem Irak. Doch obwohl sie zum Teil Gewalterfahrungen mitbringen, geraten diese Menschen seltener wegen Gewaltdelikten in Verdacht als etwa Asylbewerber aus Südosteuropa. Pfeiffer schlussfolgert, „dass sie ihre guten Perspektiven, in Deutschland bleiben zu dürfen, nicht durch Gewalttaten gefährden möchten“.

Ein anderer Aspekt dürfte jedoch mindestens genauso bedeutend sein: Aus Kriegsgebieten wie Syrien fliehen Arme, Reiche, Mittelständler, Arbeiter, Bauern und Intellektuelle - im Prinzip jeder, der um sein Leben fürchtet und nicht kämpfen will. Anders sieht es bei Migranten aus Nordafrika aus. Sie stellten zwar nur 0,9 Prozent der in Niedersachsen 2016 registrierten Flüchtlinge - ihr Anteil an den aufgeklärten Fällen von Gewaltkriminalität, bei denen Flüchtlinge als Verdächtige ermittelt wurden, beträgt aber 17,1 Prozent.

Wer aus diesen Zahlen schließt, Menschen aus Tunesien, Algerien und Marokko seien krimineller als Syrer oder Iraker, liegt falsch. Vielmehr lohnt es sich, auf die Ursachen der Migration zu schauen. Ein großer Teil der jungen Nordafrikaner, die in den vergangenen Jahren nach Deutschland kamen, führte schon in der Heimat ein Leben am Rande der Gesellschaft. Es sind viele Jungen aus kaputten Familien darunter, die zum Teil auch schon im Herkunftsland mit dem Gesetz in Konflikt geraten waren. Andererseits sind die Chancen, in Deutschland bleiben zu dürfen, für diese Gruppe sehr schlecht. Deshalb tauchen einige in die Illegalität ab oder leben ihre Frustration in aggressivem Verhalten aus.

In der Studie heißt es, die Flüchtlinge stammten überwiegend aus Ländern, „die von maskuliner Dominanz geprägt sind“. Viele von ihnen hätten „gewaltlegitimierende Männlichkeitsnormen“ verinnerlicht. Dazu gehörten Prinzipien wie: „Ein Mann, der nicht bereit ist, sich gegen Beleidigungen mit Gewalt zu wehren, ist ein Schwächling.“ Untersuchungen belegen allerdings, dass diese Einstellungen bei jungen Zuwanderern, die in Deutschland die Schule besucht haben, weniger stark verbreitet sind als bei Zuwanderern, die erst als Teenager kamen. Und auch bei der „Macho-Frage“ spielen Fluchtursachen und soziale Herkunft eine wichtige Rolle. Untersuchungen zufolge geht von Asylbewerbern aus der Türkei, aus dem Iran und aus Afghanistan, die eine persönliche politische Verfolgung geltend machen, keine erhöhte Gewaltbereitschaft aus - obwohl diese Art „maskuliner Dominanz“ auch in diesen Staaten relativ weit verbreitet ist.

Eigentlich nichts. Nur für die Frage der Strafmündigkeit ist es wichtig, das richtige Alter zu kennen. So geht es im Prozess gegen den Flüchtling Hussein K., der 2016 in Freiburg eine Studentin vergewaltigt und bis zur Bewusstlosigkeit gewürgt haben soll, auch um die Frage, ob der Angeklagte zum Tatzeitpunkt minderjährig war. Auch nach der tödlichen Messerattacke auf eine 15-Jährige im rheinland-pfälzischen Kandel Ende Dezember waren Zweifel aufgekommen, ob der tatverdächtige Flüchtling aus Afghanistan wirklich erst 15 Jahre alt ist.

Minderjährige Flüchtlinge werden nicht in Sammelunterkünften mit Erwachsenen untergebracht. Sie werden auch stärker betreut als Erwachsene. Darüber, wie genau Ärzte das Alter feststellen können und welche Untersuchungen zumutbar sind, gehen die Meinungen aber auseinander. Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) will, dass künftig unter Aufsicht der Jugendämter „in allen Fällen, in denen kein offizielles und echtes Dokument vorgelegt werden kann, auf anderem Weg, soweit geboten auch durch ärztliche Untersuchung, das Alter festgestellt werden muss“. Der Präsident der Bundesärztekammer, Frank Ulrich Montgomery, hatte zuvor erklärt, das Röntgen des Handgelenks ohne medizinische Notwendigkeit sei „ein Eingriff in die körperliche Unversehrtheit“. Keine Probleme sieht dagegen der Direktor des Rechtsmedizinischen Instituts am Universitätsklinikum Hamburg Eppendorf, Klaus Püschel. Er sagte der „Zeit“: „Die standardisierten Untersuchungsverfahren sind nicht aufwendig.“ Er könne „unzählige Beispiele“ nennen, in denen Flüchtlinge ein falsches Alter angegeben hätten. dpa