Halbfinale beim ESC und Festnahmen in Baku

Baku (dpa) - Baku versinkt in funkelndem Glitzern und in schillernden Lichtspielen am Kaspischen Meer. Wie ein Juwel glänzt die von Deutschen gebaute Crystal Hall in der sommerlichen Abendstimmung, erstrahlt in den Farben der Nationalflaggen der Teilnehmer des Eurovision Song Contest (ESC).

„Ich komme mir vor, als wäre ich in einem anderen Land“, sagt die 19-jährige Gultakin. Sie meint nicht nur die Fußgängertunnel mit weißem Marmor, die neue Uferpromenade und die angestrahlten Fassaden aus der Gründerzeit. „Es sind so viele Gäste in der Stadt“, sagt die Studentin.

„Light Your Fire!“ - Entfache Dein Feuer! - ist das Motto des Grand Prix. Und an den drei „Flame Towers“, ultramodernen Hochhäusern, lassen Projektionen von züngelnden Flammen wirklich den Eindruck entstehen, Baku brenne vor Glück. Gultakin ist ESC-Fan und schwärmt unter anderem für Roman Lob (21), der an diesem Samstag mit der Ballade „Standing Still“ Deutschland vertreten wird. „Er hat so süße Augen“, sagt sie. Bei seinen Konzerten jubeln ihm junge Aserbaidschanerinnen und Aserbaidschaner gleichermaßen zu.

Zum ESC zeigt die öl- und gasreiche Südkaukasusrepublik, dass sie einen Glanz zu bieten hat, von dem etwa die Nachbarn Armenien und Georgien nur träumen können. Touristen sprechen gern von einem Mix aus Dubai und Paris. Dass Oppositionelle und Menschenrechtler am Rande des größten Festes in der aserbaidschanischen Geschichte mehr demokratische Freiheiten fordern, findet Gultakin nicht gut. „Wir haben hier Stabilität. Zum Glück kommen diejenigen, die ein anderes System wollen, nicht durch“, sagt die Tochter eines Lehrers.

Diejenigen, die gegen das autoritäre Regime von Präsident Ilcham Alijew aufbegehren, landen auch an diesem Tag wieder im Gefängnis. Sie protestieren gegen Schönfärberei im Fernsehen, das keinen einzigen unabhängigen Kanal hat und Kritik am System ausspart. Die Opposition stört sich daran, dass Alijew die Petrodollars aus dem Öl- und Gasgeschäft für seine beispiellose Imagekampagne einsetze, obwohl die Ressourcen allen im Land gehörten. Und sie warnen seit Tagen Gäste, sich von dem Glanz blenden zu lassen.

Allein die ESC-Arena mit ihren 80 000 Leuchtdioden, die für spektakuläre Effekte sorgen, schlägt nach Schätzungen von Experten mit mehr als 200 Millionen Euro zu Buche. Der Betrag gilt als extrem hoch. Aserbaidschan gehört im Gegensatz zu seinen Nachbarn im Südkaukasus zu den korruptesten Staaten der Erde. Bürgerrechtler beklagen, dass vor allem eine kleine Schicht aus Oligarchen und gut bezahlten Staatsbeamten vom Reichtum profitierten.

Alijew hat als Erbe seines Vaters Gejdar, dem auf Plakaten in Baku immer noch gehuldigt wird, die Daumenschrauben für Gegner noch fester angezogen, wie Beobachter sagen. Die Opposition, die etwa gegen den Abriss von Häusern und die Verletzung von Eigentumsrechten protestiert und die überzogenen Ausgaben zum ESC angesichts der Armut im Land anprangert, kommt nicht zum Zuge.

An den Feiernden beim Grand Prix gehen diese Missklänge vorbei. „Was ich mitbekommen habe von den Einheimischen: die Leute freuen sich wahnsinnig auf den ESC“, sagt „Unser Star für Baku“, Roman Lob, in einem Interview mit der Nachrichtenagentur dpa. „Der ESC wird weltweit übertragen, das ist eine Riesenchance, auch auf die Probleme hier aufmerksam zu machen“, meint er. Er sei aber in erster Linie als Musiker gekommen, um Deutschland zu vertreten.

In der funkelnden Crystal Hall mit den 17 000 Plätzen finden sich zum ersten Halbfinale so viele Menschen ein wie nie zuvor bei einer solchen Show, teilen die Organisatoren von der European Broadcasting Union mit. Das zeige, dass der Grand Prix in dem islamisch geprägten Land, dem östlichsten Austragungsort bisher, angenommen werde. Aber selbst die EBU muss die Kritik am Gastgeber wahrnehmen, auch wenn sie sich bisher zu politischen Vorgängen kaum äußerte. Immerhin räumte sie auf einer Pressekonferenz ein, dass die Achtung der Menschenrechte nicht auf dem Niveau sei, wo sie sein sollte. Denn: „Wir stehen für die Freiheit der Presse und Rede.“