Das Wochenende in den sozialen Medien Ich freue mich auf den Montag

Früher bestand das Wochenende mal aus zwei vergleichsweise ruhigen Tagen hintereinander. Das war manchmal etwas langweilig, aber meistens ganz schön. Seit der Silvesternacht ist die Ruhe hin. Ob Samstagnacht bei Facebook oder Sonntagmittag bei der „Erdfrüchte“-Suppe der NRW-FDP. Ein Kommentar.

Foto: Anna Schwartz

Samstag, 10.30 Uhr

Im Düsseldorfer Robert-Schumann-Saal und im Livestream auf dem Rechner in meinem Home-Office beginnt der Neujahrsempfang der nordrhein-westfälischen CDU. Normalerweise würde ich hinfahren, aber heute muss mal der Blick auf den Bildschirm reichen. Ich war in dieser Woche an fünf von fünf Abenden auf Terminen; auf jedem ging es irgendwie auch um Flüchtlinge. Heute geht es mal für ein paar Stunden darum, was die Familie auf dem Herzen hat. Und auf dem Einkaufszettel.

Ich gehe davon aus, dass Armin Laschet als Vorsitzender der NRW-CDU in etwa das sagen wird, was er am Donnerstagabend bereits beim Dreikönigstreffen des NRW-Handwerks gesagt hat. Und Rainer Maria Kardinal Woelki als Erzbischof von Köln das wiederholen wird, was er schon vor der Silvesternacht beständig wiederholt hat: Dass Diskriminierung und Rassismus in Deutschland keinen Platz haben dürfen. Dass er nichts von deutschen Waffenexporten hält. Armin Laschet wird betonen, dass Angela Merkel nur getan hat, was jeder Bundeskanzler getan hätte. Dass es ohne Europa nicht geht. Dass man halt mit denen reden muss, die da sind (er meint Erdogan). Dass die Angriffe auf der Domplatte unerträglich sind.

Genau so kommt es auch. Das ist nachrichtlich vergleichsweise uninteressant, aber parteitaktisch klug. Laschets Auftritt mit dem Kardinal stellt jenen Teil der Parteibasis etwas ruhiger, der sich seit den Silvester-Ereignissen nicht mehr merken kann, dass er auf dem Bundesparteitag im Dezember noch dafür war, in der Flüchtlingskrise den Kurs der Kanzlerin zu unterstützen. Auch im Netz gibt es vergleichsweise wenig Häme. Das ist kein schlechter Start für das dritte Wochenende nach Köln. Vielleicht regen sich ja alle einfach mal bloß übers Wetter auf.

Samstag, 17.27 Uhr

Natürlich kommt es anders. Am späten Samstagnachmittag erfindet die Kreispolizei Mettmann — zeitgleich mit der Razzia der Düsseldorfer Polizei im sogenannten "Maghreb-Viertel" rund um den Hauptbahnhof — in einer Pressemitteilung die Nationalität „Zuwanderer“: Ein solcher soll am Freitagnachmittag ein achtjähriges Mädchen sexuell missbraucht haben, das im Hildener Stadtpark mit einem Hund spazieren ging. Das Kind wurde laut Polizeibericht „von der Person ergriffen, festgehalten und dabei auch unsittlich berührt“, habe sich jedoch gewehrt und sei gehen gelassen worden. Der Tatverdächtige, laut Polizei „ein 36-jähriger Zuwanderer“ aus einer kommunalen Unterbringungseinrichtung, befinde sich seit Samstagnachmittag in Untersuchungshaft.

Dazu könnte man nun sehr viele Fragen haben. Zum Beispiel zur Identität und Vorgeschichte des Täters (Iraker, keine Auffälligkeiten, seit Juli 2015 in Hilden). Zu den Reaktionen von Mitbewohnern (unbekannt). Und denen von rund 200 ehrenamtlichen Helfern in der Einrichtung (ebenfalls unbekannt). Wie es dazu kommen konnte. Wie es jetzt weitergeht. Und vor allem welche Hilfe es für das Kind gibt. Nur ist an einem Samstagnachmittag nach 17 Uhr weder jemand da, der diese Fragen stellt, noch irgendjemand, der sie beantworten.

Das bei Facebook 24 Stunden am Tag urteilende Standgericht der Hetze und des Hasses hat keine Fragen. Die hat es nie. Aber es hat Antworten. Immer und sofort. Für Kinderschänder und Tierquäler gibt es in den asozialen Hetzwerken ohne Unterschied nur eine Strafe. Neben der sofortigen Ausweisung und Hinrichtung (die Reihenfolge schwankt) des Täters werden zusätzlich seine Folterung und die Schändung seiner Angehörigen verlangt. Zu den Besonderheiten bei Facebook gehört es, dass der verbale Lynch-Mob neben Folter und Tod für den Täter immer auch die Bestrafung weiterer Schuldiger verlangt; aktuell sind dies meist die Bundeskanzlerin, Politiker im allgemeinen, zunehmend Journalisten.

Sonntag, 11 Uhr

Bei der NRW-CDU waren es gestern rund 800, bei der NRW-FDP sind es heute 1300 die sich zum Neujahrsempfang angemeldet haben. Für die gibt es zunächst eine Staatsrechts-Vorlesung von Ex-Verfassungsrichter Udo Di Fabio im Maritim-Hotel am Flughafen. Er beobachte eine Spaltung des Landes, einen Verlust an Sprechfähigkeit und eine Fragmentierung, die das Gegenteil einer pluralistischen Gesellschaft sei. Und dass das Konzept des offenen Staates an seine Leistungsgrenzen stoße. Es gehe um Handlungsfähigkeit und Strukturen des inneren Zusammenhalts, das Grundgesetz als Hausordnung. „Die Menschen werden irre an ihrem Rechtsstaat“, sagt Di Fabio.

Als müssten sie das beweisen, steht irgendwo im Foyer anschließend eine kleine Gruppe um die dünne Suppe aus „Erdfrüchten“, die nach dem offiziellen Teil ausgeschenkt wird. Es gibt wenig, über das ein älterer Herr in der Gruppe nicht schimpft. Aber das seien wir, die, ihr (so ganz klar wird nicht, wen er meint) selbst schuld. Und dass Merkel die Journalisten angewiesen hat, nicht die Wahrheit zu schreiben, das sei ja inzwischen klar; murmelnde Zustimmung der übrigen. Er aber halte jetzt nicht mehr den Mund, sondern schreibe ein Buch. Darüber, was die Politik in den letzten 25 Jahren angerichtet habe. Da stehe dann auch drin, wie viel Geld die Juden nach dem Zweiten Weltkrieg wirklich bekommen hätten.

Im Laufe des Vormittags meldet sich die Stadt Hilden mit einer Stellungnahme zu dem Missbrauchsfall vom Freitag. Darin erklärt Sozialdezernent Reinhard Gatzke, er fürchte um die Stimmung in der Stadt: Dank des unermüdlichen Einsatzes von städtischen Mitarbeitern und Ehrenamtlichen habe die Flüchtlings-Unterbringung bisher sehr gut funktioniert. Diese Arbeit dürfe nicht wegen des Verbrechens eines einzelnen in Gefahr geraten. Und dann holt der parteilose Wahlbeamte zur der Forderung aus: „Wer Kinder sexuell missbraucht, macht sich strafbar und muss seinen Anspruch auf Bleiberecht verlieren.“

Die Düsseldorfer Polizei wertet ihren Samstags-Einsatz im „Maghreb-Viertel" derweil als Erfolg: Mehr als 290 Personen überprüft, 40 vorläufige Festnahmen; bei 38 von ihnen bestehe der Verdacht des illegalen Aufenthalts. Der Einsatzleiter betont, Anlass für die Razzia seien nicht die Vorkommnisse der Silvesternacht gewesen: „Gleichwohl rechnen wir mit Erkenntnissen, die die Ermittlungen vorantreiben könnten." Für eine Nacht hat die Düsseldorfer Polizei offenbar die Zahl der Taschendiebstähle im Stadtgebiet drastisch reduziert. Dafür wurde um 2 Uhr am Sonntagmorgen an der Königsallee in Höhe der Trinkhausstraße ein Straßenraub mit Schusswaffe gemeldet. Die drei Täter sind flüchtig. Zu ihnen heißt es im Polizeibericht: „Nach Aussagen der Geschädigten hatten die Täter ein arabisches Erscheinungsbild.“ Die Ermittlungen dauern an.

Sonntag, 17 Uhr

In München hat am Morgen die „Digital Life Design“ (DLD) 2016 von Burda Media begonnen. Um kurz nach 17 Uhr ist Regierungssprecher Steffen Seibert auf dem Podium. Dominik Wichmann (Ex-Stern, Ex-SZ-Magazin-Chef) will von ihm wissen, ob Angela Merkel eigentlich selbst auch soziale Medien nutzt. „In ihrer Regierungsarbeit? Nein, das macht sie nicht“, sagt Seibert, „dafür hat sie mich.“ Das ist wahrscheinlich für die Nerven der Kanzlerin auch besser so. Aber eine realistischere Einschätzung von Welt und Wichtigkeit liefert unmittelbar nach Seibert die britische Ministerin für Internetsicherheit, Joana Shields. Am Beispiel von Terror-Propaganda des IS macht Shields deutlich, warum Staat und Unternehmen auf den Medien-Plattformen „Gegenrede-Aktionen“ starten müssen — und warum das Recht auf freie Meinungsäußerung und die Freiheit vor schädlichen Hass-Inhalten durchaus miteinander existieren können.

Später in der 20-Uhr-Tagesschau schaffen es die Düsseldorfer Razzia und der Plan der Union, Asylbewerber aus Nordafrika schneller abzuschieben, auf Platz fünf. Von den 40 vorläufig Festgenommen der Razzia sind 38 — offenbar trotz des Verdachts auf illegalen Aufenthalt — inzwischen wieder auf freiem Fuß. Aus Mangel an Haftgründen.

Das Hyperventilieren geht weiter, die Facebook-Hetzer kommen kaum noch mit den Urteilen nach.