Karfreitagskrach mit Kraftklub am Karl-Marx-Kopf
Chemnitz (dpa) - Die Chemnitzer Aufsteigerband Kraftklub nimmt zurzeit alles mit: die Goldene Schallplatte für 100 000 verkaufte Alben, den Headliner-Job auf Sommerfestivals - und für eine nun ausgestrahlte TV-Dokumentation wird sogar das Gesetz gebrochen.
Ein Abend, eine Stadt, zwei Künstler - das ist das Prinzip der Arte-Reihe „Durch die Nacht mit...“. Das knapp einstündige Format lebt seit inzwischen zehn Jahren von der Neugier der Protagonisten auf ihr Gegenüber. Die bisherigen Begegnungen förderten zumeist interessante Erkenntnisse zutage, etwa als der Publizist Henryk M. Broder den „Bild“-Chefredakteur Kai Diekmann traf oder Tocotronic-Sänger Dirk von Lowtzow dem Theatermann René Pollesch. Oder als Jazzmusiker Götz Alsmann dem Schlagersänger Roland Kaiser begegnete, Scooter-Frontmann H.P. Baxxter auf Entertainer Heinz Strunk traf und Schauspielerin Julie Delpy mit Ärzte-Schlagzeuger Bela B. zusammenkam.
Aber kann das auch klappen, wenn gleich zwei Bands aufeinander losgelassen werden? In der neuesten Folge (Nacht zum 3. Juni, 00.45 Uhr, Arte) wird die vierköpfige Rap-Combo K.I.Z. aus Berlin von den fünf Mitgliedern der Gruppe Kraftklub in deren Heimatort Chemnitz empfangen. Zuerst am Karl-Marx-Kopf, der während der 52 Minuten öfter ins Bild gerückt wird. Mit Spezialprüfungen wie dem „Speeddating“ zum Kennenlernen oder einem Band-Wettbewerb im Parkhaus, in dem gleich mehrere Fernseher zerkloppt werden, versuchen die Filmemacher (Fred Schut und Hasko Baumann) das drohende Helden-Durcheinander abzuwenden. Tatsächlich ist fröhliches Geplänkel statt tiefschürfender Dialoge durch die Neuner-Ausgangslage programmiert.
Die Kameras bleiben bei den Streifzügen durch verlassene Viertel von Chemnitz und im geräumigen Luxusbus hauptsächlich an K.I.Z.-Rapper Maxim und Kraftklub-Frontmann Felix kleben. Es wird mal über Tocotronic geredet, mal über musikalische Defizite von Neonazis, dann auch über Humor, das Publikum in der Schweiz und die Antifa-Slogans gegen den neuen Thor-Steinar-Laden in Chemnitz. Gezeigt werden die Jungs auch bei der Facebook-Ankündigung eines „Guerillakonzerts“, das Stunden später auf dem Dach einer Musikkneipe vor 2000 Leuten auch wirklich steigt. Der Sender Arte sieht im spontanen Auftritt unter freiem Himmel ein Anknüpfen an „alte Beatles-Tradition“, er nennt K.I.Z. und Kraftklub „zwei der populärsten Troublemaker-Bands der deutschen Pop-Landschaft“.
Beim Kurzkonzert, das in Ausschnitten gezeigt wird, machen die Musiker auch wirklich ganz schön Krach. „Das wird in die Annalen eingehen, Chemnitz“, schreit Felix zum Abschluss. Die Polizei greift nicht ein. Sie sperrt ein paar Straßen ab - und schickt Felix später eine Rechnung über die ihr entstandenen Kosten in Höhe von 1611 Euro. Davon ist in der Sendung nicht die Rede, auch nicht davon, dass das - eigens für die TV-Dokumentation arrangierte - Konzert ausgerechnet am Karfreitag stattfand. Da sind auch in Sachsen „öffentliche Tanzveranstaltungen und andere öffentliche Vergnügungen“ verboten. Die Stadt, die die bekennenden Chemnitzer Kraftklub („Ich will nicht nach Berlin“) als eine Art Botschafter ins Herz geschlossen hat, verzichtete dennoch auf das Verhängen einer Geldbuße - und musste dies prompt dem Dresdner Innenministerium erklären.
Dafür geizt Kraftklub-Frontmann Felix in der Dokumentation nicht mit heimatfreundlichen Attributen wie dem von der „Lifestylemetropole Chemnitz“. Beim Schlendern mit den K.I.Z.-Männern durchs ansonsten menschenleere Stadtzentrum räumt er ein, dass er Berlin nur um einen einzigen Punkt „echt krass“ beneide: Dass man sich dort nicht wie in Chemnitz „als der letzte Mensch auf der Welt“ vorkommen müsse, wenn man aus dem Haus tritt. Dieses Gefühl dürften die Musiker von Kraftklub derzeit aber eh nicht haben, sind sie doch die Aufsteigerband der Stunde: Ihr Debütalbum „Mit K“ landete auf Anhieb auf Platz eins der Charts, inzwischen hat es sich mehr als 100 000 Mal verkauft. Und im Fernsehen haben die jungen Musiker bald alle Kanäle durch: Vom ZDF-Morgenmagazin über die „Harald Schmidt Show“ bei Sat.1 nun im Nachtprogramm bei Arte. Live steht eine Serie von Open-Air-Festivals an - als Headliner, zur Primetime.