Themenabend über Missbrauch löst Welle von Reaktionen aus
Hamburg/Heppenheim (dpa) - Das ARD-Drama „Die Auserwählten“ über den sexuellen Missbrauch an der Odenwaldschule hat teils heftige Reaktionen bei den Zuschauern ausgelöst.
Auf der Social-TV-Seite des Ersten im Internet ging eine Vielzahl von Kommentaren ein, die ersten gleich nach dem Beginn des Fernsehfilms am Mittwochabend. „Die Schuldigen sind heute pensioniert und leben in Frieden ihr Leben“, kritisierte ein Nutzer. „Aufhebung der Verjährungsfristen für Missbrauch muss endlich erfolgen“, forderte ein anderer.
Die ARD sprach am Donnerstag von einem „großen Zuspruch“ für das begleitende Online-Angebot. „Die Möglichkeit, sich per Social TV über den Film und das Thema „sexueller Missbrauch“ auszutauschen, wurde insbesondere auch von Betroffenen und ehemaligen Schülern der Odenwaldschule genutzt“, erläuterte ein ARD-Sprecher. Sie hätten ihre Erfahrungen geteilt und Fragen an die Macher des Films und an Experten gerichtet. „Insgesamt kam hier eine konstruktive und bereichernde Diskussion zustande“, ist das Fazit der ARD.
Der Film mit Ulrich Tukur und Julia Jentsch in den Hauptrollen wurde zur besten Sendezeit ausgestrahlt. Er schilderte den sexuellen Missbrauch an der Odenwaldschule. Dort vergriffen sich zwischen den 1960er und 1990er Lehrer an mindestens 132 Schülern. Die Übergriffe kamen erst 2010 richtig an die Öffentlichkeit, frühere Informationen versandeten. Opfer-Vertreter gehen von deutlich mehr Missbrauchten aus.
Für den Missbrauch sind nach Ansicht des Vorsitzenden des Opfervereins „Glasbrechen“, Adrian Koerfer, nicht nur der frühere Schulleiter Gerold Becker und einige andere Pädophile verantwortlich. „Das waren mindestens 20 Lehrer“, sagte Koerfer in der Anne-Will-Talkshow, die gleich nach dem ARD-Drama begann. Täter seien nicht nur Männer gewesen. „Auch Lehrerinnen.“
Die Talk-Runde „Weggehört und weggeschaut - Warum war Missbrauch über Jahrzehnte möglich?“ befasste sich zudem mit dem Missbrauch in der katholischen Kirche und in Familien. Neben Koerfer prangerte auch die Publizistin Alice Schwarzer („Emma“) Mitwisser an. „Ohne das Wegsehen der Nächsten gibt es das nicht.“
Die Odenwaldschule fand es schade, dass sie nicht eingeladen worden war. Die Redaktion von Anne Will teilte auf Anfrage mit, in der Talkshow sollte es weniger um die Odenwaldschule speziell gehen, sondern mehr um Missbrauch grundsätzlich.
Auch zu dem Anne-Will-Talk konnten sich Zuschauer etwa in einem Blog melden. Dort gingen auch noch Beiträge nach dem Ende der Sendung ein.
„Die Auserwählten“ erreichte an dem Abend allerdings nicht so viele Zuschauer wie die Fußball-Champions-League im Zweiten. 5,05 Millionen sahen im Ersten zu. Das entspricht einem Marktanteil von 17,0 Prozent im Gesamtpublikum. Bei der Talkrunde von Anne Will blieben im Anschluss 3,23 Millionen (12,8 Prozent) dran. Derweil schalteten rund 6,75 Millionen (24,2 Prozent) das Spiel von Borussia Dortmund gegen RSC-Anderlecht im ZDF ein.
Nach Angaben des WDR, der den Film produziert hatte, lag die Quote von „Die Auserwählten“ weit über dem diesjährigen Durchschnittswert für die Reihe „Film-Mittwoch im Ersten“. Die Mittelwerte für 2014 seien 4,02 Millionen Zuschauer und 13,5 Prozent Marktanteil gewesen.