Trau keinem über 30? Sat.1 und RTL haben Geburtstag
Berlin (dpa) - Trau keinem über 30 - dieser Slogan war Ende der 60er Jahre als Protest populär.
Jetzt könnte mancher auf die Idee kommen, ihn aufs kommerzielle Fernsehen anzuwenden. Denn: Vor 30 Jahren, am 1. Januar 1984, startete die Ära des Privatfernsehens in Deutschland - mit dem Sendebeginn von Sat.1, das damals unter PKS firmierte (Programmgesellschaft für Kabel- und Satellitenrundfunk). Einen Tag später folgte RTL.
Pionier Sat.1 hat in drei Jahrzehnten mehrere Besitzerwechsel und Umzüge (von Ludwigshafen über Mainz und Berlin bis Unterföhring bei München) hinter sich und verschmolz im Jahr 2000 zur ProSiebenSat.1 Media AG. Seit 1996 ist der Sender auch im Internet aktiv, heute zum Beispiel mit mehr als 50 Facebook-Seiten.
1. Januar 1984, 9.58 Uhr: Der Geschäftsführer Jürgen Doetz meldet sich aus der Sendezentrale des Kabelpilotprojekts Ludwigshafen: „Sie sind in dieser Minute Zeuge des Starts des ersten deutschen privaten Fernsehveranstalters, der Sie mit einem Vollprogramm täglich ab 16.45 Uhr über den Nachmittag und Abend begleiten wird...“ - so ging es damals laut Sat.1 los.
2. Januar 1984, 17.27 Uhr: RTL plus geht auf Sendung, in einem kleinen Studio im luxemburgischen Dudelange. Idee zum Start: In einem Kreißsaal bringt Moderator Rainer Holbe einen Fernseher zur Welt und mit ihm symbolisch den Sender, der erst später seinen Hauptsitz in Köln findet und seit 1993 nur noch RTL heißt.
Aus diesen bescheidenen Privat-TV-Anfängen ist ein riesiger Markt geworden. Inzwischen ist die Zeit vor dem kommerziellen Fernsehen - als es zunächst nur ein öffentlich-rechtliches Programm gab und später das Zweite Deutsche Fernsehen, dann immerhin die regionalen Dritten - kaum mehr vorstellbar.
Werbefinanziertes Fernsehen neben dem gebührenfinanzierten ist jedoch erst nach harten politischen Widerständen möglich geworden. Die SPD etwa, die Kirchen oder auch Gewerkschaften befürchteten negative Auswirkungen für Kinder und Familien. Erst nach dem Regierungswechsel von 1982, als die FDP den Koalitionswechsel von der SPD zur CDU/CSU vollzogen hatte, stellte die Politik die Weichen.
Spätestens seit den 90er Jahren wirbelt das Internet die Situation der elektronischen Medien kräftig durcheinander. Auch Sat.1 oder RTL als einstige Erneuerer des linearen Fernsehens gehören für manchen schon zum alten Eisen.
Nach Sat.1 und RTL folgten Sender wie Musikbox (ab 1989 Tele 5), die europäische Ausgabe des Musikkanals MTV (1987), ProSieben (1989), der Bezahlsender Premiere (1991), der Kabelkanal (ab 1994 Kabel 1), der Nachrichtensender n-tv (1992) oder Programme wie Vox, RTL II und Viva (alle 1993), N24 (2000) und bis heute viele mehr.
Parallel zum Privatmarkt expandierten auch die Öffentlich-Rechtlichen. Bereits 1984 startete 3sat als Kooperation von Deutschland, Österreich und der Schweiz. 1991 ging der deutsch-französische Kulturkanal Arte auf Sendung, 1997 der Ereigniskanal Phoenix und der Kinderkanal (Ki.Ka). Bis heute folgten Sender wie Eins Festival oder ZDFneo und einige mehr.
Für das Privatfernsehen und seinen Ruf war lange Zeit der gebürtige Wiener Helmut Thoma prägend („Der Wurm muss dem Fisch schmecken, nicht dem Angler“). Von 1984 bis 1999 stand er an der RTL-Spitze.
Seine Zielgruppen-Fixierung der angeblich werberelevanten 14- bis 49-Jährigen (die RTL-Gruppe blickt inzwischen auf 14- bis 59-Jährige) hat auch das Einschaltquoten-Denken bei ARD und ZDF beeinflusst. Minderheitenprogramme gelangten eher in späte Abendstunden oder Spartenkanäle.
Inhaltlich haben die Privaten neue Programmformate ausprobiert und immer wieder für Aufsehen gesorgt: sei es mit Frühstücksfernsehen, Quiz-Show-Wiederbelebungen, Daily Soaps, Reality-Shows, lockereren Nachrichtensendungen oder aber Castingshows.
Für Diskussionsstoff sorgten etwa die Sexberatung mit Erika Berger, die nackten Brüste bei „Tutti Frutti“, die Ekel-Spiele im Dschungelcamp, Krawall-Talkshows, Sozial-Experimente à la „Big Brother“, Scripted Realitys oder die gecasteten Sternchen bei „Deutschland sucht den Superstar“ oder „The Voice of Germany“.
Viele Fernsehköpfe wären ohne die Privaten heute kaum das, was sie sind - man denke an die Aufstiege von Günther Jauch („Stern TV“, „Wer wird Millionär?“) oder Stefan Raab.
Das Privat-TV fungierte auch als Talentschmiede fürs Öffentlich-Rechtliche (Reinhold Beckmann, Jörg Pilawa, Johannes B. Kerner oder der langjährige „Nur die Liebe zählt“-Moderator Kai Pflaume zum Beispiel wurden bei RTL und Sat.1 bekannt).
Doch auch Gewächse von ARD und ZDF experimentierten bei den Privaten, etwa Thomas Gottschalk, Hape Kerkeling oder Late-Night-Entertainer Harald Schmidt.