Hauswächter: Wohnen im verlassenen Finanzamt
Sie leben in leerstehenden Gebäuden und schrecken Einbrecher ab.
Münster. Oliver Vogelsang hüpft auf seinen Tretroller. Hinter ihm liegt sein Zimmer, ein ehemaliger Schulungsraum, vor ihm ein langer dunkler Flur. Der 27-jährige Student der Betriebswirtschaft ist auf dem Weg zur Dusche. Die liegt 30 Meter entfernt am anderen Ende des Gebäudes — in der Behörden-Küche. Vogelsang ist Hauswächter im ehemaligen Finanzamt Münster Stadt. Seit Mai 2014 passt der Bocholter mit 18 anderen auf die Immobilie des Landes Nordrhein-Westfalen auf.
Seit Ende 2013 steht das ehemalige Gebäude der Steuerbehörde in bester Innenstadtlage leer. Über 200 Menschen waren dort einst beschäftigt. Die Liste der Gebäudemängel war lang. Das neue Finanzamt liegt in Münsters Norden. Das allerdings hat sich bei vielen Steuerzahlern noch nicht herumgesprochen: Täglich kommen Bürger, klopfen und wollen Vordrucke für ihre Steuererklärung abholen. An der Wand hängt noch ein Regal — die Anlagen „Kind“ oder „KAP“ sind jedoch längst weggeräumt.
Formulare hat auch die Studentin Birte Kausler nicht. Die 21-Jährige hat das große Los gezogen. Ihr neues Zuhause ist seit wenigen Monaten das ehemalige Amtszimmer des Behördenchefs. Zusammen mit Vogelsang hat sie vor dem Einzug eine Münze geworfen, denn der Chef arbeitete etwas edler als seine Beamten: Schöner Parkettboden, mehr Quadratmeter, ein großer Einbauschrank und ein zusätzliches kleines Zimmer mit einem Waschbecken. Hinter einer der Türen hängt noch ein Jahres-Kalender der deutschen Steuergewerkschaft. Die angehende Grundschullehrerin hat ihn hängen lassen. Wie lange sie im großen Chef-Zimmer mit ihren Möbeln residieren darf, ist derweil offen. Wie die anderen Bewohner muss sie jederzeit damit rechnen, ihren Hauswächter-Job zu verlieren.
Die Kündigungsfrist liege für beide Seiten bei vier Wochen, erklärt Karsten Linde. Er betreut für die Firma Camelot Deutschland das Objekt in Münster. Für das Land kümmert sich der Dienstleister um leerstehende Gebäude, für die es zwischenzeitliche keine Verwendung gibt oder die später verkauft werden sollen. Wie das ehemalige Finanzamt in Münster.
„Für das Hauswächter-Konzept kommen vor allem große Objekte in Betracht, die nicht einsehbar sind und wo die Gefahr des Vandalismus besteht“, sagt Hartmut Gustmann, Sprecher des Bau- und Liegenschaftsbetriebs des Landes NRW (BLB). Der BLB sei eine der ersten Organisationen gewesen, die vor einigen Jahren das Hauswächter-Konzept eingeführt hat. Umgesetzt wurde es bislang in Münster, Duisburg und Dortmund.
Die 18 Hauswächter im Finanzamt - drei Viertel sind Studenten - sind keine Mieter, darauf legt Linde großen Wert. Sie zahlen eine Pauschale von 184 Euro im Monat und dürfen dafür mit ihren Möbeln einziehen. Damit übernehmen sie auch Pflichten. In den Urlaub fahren geht nur in Absprache mit den anderen. Denn schließlich soll das Gebäude auch in den Sommerwochen noch vor Einbrechern sicher sein - allein durch ihre Anwesenheit. „Im Ernstfall sollen die Hauswächter natürlich die Polizei rufen und nicht selbst aktiv werden“, sagt Linde. Auch Rasenmähen oder Unkrautzupfen hinterm Haus gehört zum Programm. Dafür hat die Firma Camelot die Infrastruktur so hergerichtet, dass ein Leben in dem ehemaligen Behördenhaus möglich ist.
Direkt neben der Küche in der oberen Etage ist jetzt eine Dusche installiert, ebenso gegenüber der ehemaligen Pförtnerloge. In der Kantine hinterm Verkaufstresen wird gekocht.