In Polen brechen viele Dämme

Hochwasser: Auch in Ungarn und der Slowakei spitzt sich die Lage zu. Orte werden überschwemmt, die Menschen fliehen.

Warschau/Budapest. Die zweite Flutwelle der Weichsel verschärft von Stunde zu Stunde das Hochwasserdrama in Polen. Der angeschwollene Fluss durchbrach in der Nacht zu gestern an mehreren Stellen Deiche südlich von Warschau und richtete erneut enorme Schäden an. In den Überschwemmungsgebieten leiden die Menschen seit mehr als drei Wochen unter den Folgen - die erste Flutwelle hatte bereits Ende Mai große Landstriche verwüstet.

Auch in den Nachbarländern spitzt sich die Situation weiter zu: In der Slowakei kam es durch Hochwasser des Flusses Ondava zu neuen Erdrutschen und Dammbrüchen. In Ungarn gilt in acht der 19 Verwaltungsbezirke des Landes wegen des Hochwassers der Donau weiterhin der Notstand. Rund 220000 Hektar Land stehen hier unter Wasser.

Im polnischen Janowiec bei Pulawy flutete das Wasser durch einen hundert Meter langen Riss im Damm. Überschwemmt wurden drei Orte mit 120 Häusern auf einem Gebiet von rund 1000 Hektar. 170 Menschen mussten in Sicherheit gebracht werden.

Auf dem gegenüberliegenden Weichsel-Ufer spitzte sich die Situation noch weiter zu, weil ein Nebenfluss die aufgeweichten Dämme durchbrach. Seit der ersten Überflutung vor anderthalb Wochen stehen hier mehrere Orte unter Wasser. Das sei eine Katastrophe für diese Region, die von der Landwirtschaft lebe, sagte ein Wirtschaftsexperte.

Auch im weiter südlich gelegenen Ostrow gab ein Deich nach. Mehrere Dörfer seien bedroht, hieß es aus dem Krisenstab. "Wir hatten keine Chance, das Wasser zu stoppen, der Strom war zu stark", sagte ein Sprecher. Hochwasseralarm galt weiterhin in 23Gemeinden an dem Strom. 3600 Soldaten mit acht Hubschraubern unterstützten rund um die Uhr die Feuerwehr beim Kampf gegen die Fluten.

Der Hochwasserscheitel soll heute die polnische Hauptstadt Warschau erreichen. Die Flutwelle soll dann mit 7,80 Metern auf den Höchststand der vergangenen drei Wochen kommen. In Teilen der Stadt wurden bereits Schulen und Kindergärten geschlossen. Eine wichtige Nord-Süd-Straßenverbindung wurde gesperrt.

In den Überschwemmungsgebieten im Süden Polens wächst mit jedem Tag die Gefahr von Erdrutschen. In letzter Zeit sei die Erde an mehreren Stellen in Bewegung geraten, sagte eine Bezirkssprecherin in Krakau. Wegen Einsturzgefahr mussten unter anderem in der Gemeinde Chelmiec bei Nowy Sacz 46 Menschen ihre Häuser räumen.

Innenminister Jerzy Miller wies erneut Forderungen nach einer Ausrufung des Notstands zurück. Die Dämme würden dadurch nicht standfester und der Geldbeutel für die Flutopfer nicht größer, sagte er. Um den Menschen eine Stimmabgabe zu ermöglichen, sollen in Überschwemmungsgebieten Wahlzelte aufgestellt werden. Am 20. Juni wird in Polen ein neues Staatsoberhaupt gewählt.