Jeder vierte Chirurg überlastet
Klinikärzte leiden unter zu viel Arbeit bei zu geringer Bezahlung. Das kann auch Folgen für die Patienten haben.
Düsseldorf/ Hamburg. Stundenlange Operationen, Untersuchungen und Patientengespräche, dazu Bereitschaftsdienste am Wochenende oder in der Nacht - Ärzte an Krankenhäusern haben hohe Arbeitsbelastungen. Hinzu kommt, dass viele unzufrieden mit der Bezahlung, der Wertschätzung ihres Jobs und den Aufstiegschancen sind.
Gratifikationskrise nennen Medizin-Soziologen dieses Missverhältnis von Verausgabung und Belohnung, das krank machen kann. Vor allem Chirurgen leiden darunter, wie eine von der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung geförderte Studie Düsseldorfer und Hamburger Medizinsoziologen jetzt aufdeckte: Jeder vierte Krankenhaus-Chirurg läuft Gefahr, körperlich oder psychisch zu erkranken.
Das Forscher-Team befragte bundesweit 1.311 Ober-, Chef- und Assistenz-Chirurgen an 489 Kliniken mit mehr als 100 Betten. "Vor allem Assistenzärzte sind betroffen. Je tiefer die Hierarchie, desto größer die Belastung", sagt Johannes Siegrist, Studienleiter und Professor für Medizin-Soziologie an der Düsseldorfer Heinrich-Heine-Universität.
Alarmierend vor allem für Patienten: Etwa 44 Prozent der befragten Ärzte sehen die Qualität der Kranken-Versorgung durch Stress und Zeitdruck beeinträchtigt.
Angst, auf dem OP-Tisch zu landen, müssten Patienten aber nicht haben, sagt Dr. Andreas Botzlar, zweiter Vorsitzender des Marburger Bunds (Verband der angestellten und beamteten Ärzte Deutschlands) und selbst Chirurg an einem Krankenhaus: "Das Risiko kann sich auch so äußern, dass der Arzt aus Angst, Fehler zu machen, unnötig viele Untersuchungen durchführt."
Die betroffenen Ärzte seien zunächst extrem leistungsfähig. "Der Zusammenbruch durch die permanente Überforderung kommt erst nach vielen Jahren. Wie eine Kerze, die ständig brennt, bis sie irgendwann flackert und ausgeht", so Botzlar. Das Ergebnis der Studie überrasche ihn nicht.
Er erinnert sich an einen Kollegen, der nach seinem Dienst einen Verkehrsunfall nach dem anderen verursachte. "Andere bekommen einen Herzinfarkt. Chirurgen stehen durch ihre Verantwortung besonders unter Druck", sagt Botzlar. Das Thema Suchtkrankheit bei Chirurgen sei bei der Studie übrigens nicht untersucht worden.