Johanna Hey: "Ich arbeite viel und sehr gerne"
Die Juristin ist im Eiltempo bis zur Spitze der Steuergelehrten dieses Landes aufgestiegen. Im Gespräch denkt sie über Reformen, den Sozialstaat und Kinder nach.
Frau Prof. Hey, die Wirtschaft wächst, die Steuerquellen sprudeln, sogar der Arbeitsmarkt bewegt sich. Braucht Deutschland noch eine Steuerreform? Hey: Ja, gerade jetzt. Wir müssen diese gute Phase nutzen, um strukturelle Mängel zu beseitigen. Steuerrecht sollte einfach, gerecht und neutral sein. Das ist es bei uns aber nicht. Die Reform der Unternehmensteuer wird das Problem ab 2008 noch verschärfen. Warum? Die Steuersätze für Firmen sinken unter 30 Prozent, wenn die Gewinne im Unternehmen bleiben. Sie haben immer niedrigere Sätze gefordert. Hey: Richtig. In der Überschrift sieht’s prima aus. Aber die Entlastung beim Tarif hilft vielen Betrieben nicht weiter, weil sie ihre Kosten deutlich schlechter als bisher geltend machen können. Der Schaden überwiegt den Nutzen eindeutig. Die Wettbewerbsfähigkeit des Standortes leidet. Trotzdem stimmt die Wirtschaft der Reform zu. Wieso? Hey: Man könnte es Zockermentalität nennen. Zunächst lockt die Nettoentlastung von fünf Milliarden Euro. Viele hoffen, dass die Fehler später wieder korrigiert werden. In der jetzigen Fassung ist es eine Schönwetterreform. Gut für Unternehmen, denen es gut geht, aber möglicherweise der Todesstoß für Betriebe in der Krise. Sie gehören zum Kreis derjenigen, die die Bundesregierung und das Parlament beraten. Zählt das Wort der Wissenschaftler im Politikbetrieb nichts? Hey: Die Möglichkeiten, Einfluss zu nehmen, sind in der Tat gering. Viele Kollegen lehnen inzwischen die Teilnahme an Anhörungen ab. Bund, Länder und Gemeinden werden bis 2011 etwa 125 Milliarden Euro mehr Steuergeld einnehmen als bislang geschätzt. Müsste der Bundeshaushalt nicht vor 2011 ausgeglichen sein? Hey: Eindeutig ja. Aber es geht um mehr: Die Haushalte sollten nicht nur so rasch wie möglich ohne neue Schulden auskommen, sondern wir müssen auch alte Schulden abbauen. Inzwischen haben sich 1,5 Billionen Euro angesammelt. Meine Forderung für die öffentlichen Etats lautet: das Aufnehmen neuer Schulden per Verfassung nachhaltig erschweren. Der Ex-Verfassungsrichter Paul Kirchhof sollte Angela Merkels Finanzminister werden. Sein Konzept: Weg mit allen Vergünstigungen, runter mit dem Spitzensatz in der Einkommensteuer auf 25 Prozent. Hat er recht?Hey: Zumindest die Gegenfinanzierung hätte in Kirchhofs Modell aus meiner Sicht nicht funktioniert. Eine drastische Senkung der Steuersätze auf alle Einkünfte lässt sich über den Wegfall von Vergünstigungen nicht ausgleichen, weil viele Vorteile längst beseitigt sind oder auslaufen, zum Beispiel die Eigenheimzulage. Wie sieht denn Ihr Umbau des Steuersystems aus? Hey: Die Steuergesetze müssen deutlich vereinfacht werden. Auch bei der Gleichmäßigkeit der Besteuerung ließe sich noch viel verbessern. Wichtig scheint mir außerdem, den Sozialstaat anders zu finanzieren, nämlich über das Steuersystem. Wir belasten den Faktor Arbeit über die Sozialversicherung viel zu hoch. Das ist ökonomisch schädlich und trifft gerade kleine Einkommen besonders hart, weil sie ab dem ersten Euro mit Beiträgen voll herangezogen werden. Welche Steuern sollen die Mehreinnahmen denn bringen? Hey: Wenn es gerecht zugehen soll, müsste dies die Einkommensteuer sein, weil hier der individuellen Leistungsfähigkeit Rechnung getragen werden kann. Dieser Weg ist allerdings verbaut. Denn wir befinden uns im Bereich mobiler Steuerquellen in einem massiven Steuerwettbewerb. Dem internationalen Zwang zu moderaten Sätzen kann und darf sich Deutschland nicht entziehen. Anders sieht es bei der Mehrwertsteuer aus. Hier haben wir immer noch reichlich Spielraum nach oben. Gilt das denn auch für die Erbschaftsteuer?Hey: Mit Einnahmen von etwa vier Milliarden Euro im Jahr handelt es sich im Grunde um eine Bagatellsteuer. Die Einnahmen könnten höher sein, das zeigt auch der Blick in andere Länder. Außerdem: Bei der geplanten Neuregelung halte ich die Ausnahmen für Hausbesitzer und Unternehmen für überflüssig. Hier wird eine schreckliche Klientelpolitik betrieben. Lieber wäre mir eine Erbschaftsteuer mit niedrigen Steuersätzen, die alle Vermögen gleich belastet. Brauchen wir weitere Reformen am Arbeitsmarkt? Hey: Hier hat sich mit den Hartz-Gesetzen viel getan. Der Staat muss sich jedoch trauen, die Gesetze konsequent anzuwenden. Viele kassieren heute ab und arbeiten schwarz. Das lässt sich nur verhindern, wenn Empfänger von Arbeitslosengeld II einer öffentlich organisierten und kontrollierten Tätigkeit nachgehen. Sollen denn alle die Parks sauber halten?Hey: Sich um öffentliche Einrichtungen zu kümmern, gehört sicher dazu. Ich denke aber auch an Arbeit im sozialen Bereich, zum Beispiel in der Altenpflege. Sind die deutschen Hochschulen international konkurrenzfähig? Hey: Auf jeden Fall. In der Breite sind deutsche Hochschulen ganz hervorragend. Große Defizite gibt es dagegen in der Spitzenforschung, weil die Förderung nicht reicht. Sowohl die Unternehmen als auch der Staat könnten mehr tun. Haben Sie für die Karriere bewusst auf Kinder verzichtet?Hey: Nein, eher umgekehrt. Ich habe meine Karriere sehr schnell betrieben, um mir die Option auf Kinder offen zu halten. Wie viele Stunden in der Woche nehmen Sie sich Zeit, um Sport zu treiben? Hey: Keine einzige. Ich bin völlig unsportlich.
Wie halten Sie denn die innere Balance, wie entspannen Sie sich? Hey: Ich arbeite viel und sehr gerne. Auch 13 Stunden pro Tag empfinde ich nicht als Problem. Entspannung finde ich beim Kochen, Lesen und Wandern. Letzteres leider nur einmal im Jahr.