Politische Satire Karikaturen aus der Türkei in Kassel

Kassel (dpa) - Der türkische Staatspräsident mit der Verfassung als Hitlerbart: Dem deutschen Betrachter stockt da der Atem. Für türkische Maßstäbe ist das weniger aufregend.

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Das Titelblatt einer Satirezeitung ist so in der Türkei erschienen - und hatte keine juristischen Folgen. Nun ist es Teil der Schau „Schluss mit Lustig - Aktuelle Satire aus der Türkei“ der Caricatura in Kassel.

46 türkische Cartoonisten stellen dort in der Galerie für komische Kunst aus. Ab Donnerstag zeigen sie, was in der Türkei trotz schwindender Pressefreiheit noch möglich ist. Denn die in Istanbul lebende deutsche Kuratorin Sabine Küper-Büsch wählte nur Karikaturen aus, die in der Türkei ohne juristische Folgen für die Künstler erschienen sind.

„Uns war wichtig, dass den Zeichnern nichts passiert“, sagt Martin Sonntag, Leiter der Caricatura. Er will mit der Schau den türkischen Künstlern ein Podium bieten, auf dem sie Stellung beziehen und wahrgenommen werden können. Dass in Kassel zeitgleich die documenta, die weltweit bedeutendste Ausstellung zeitgenössischer Kunst, stattfindet, sei dafür ideal.

Politische Satire ist beliebt in der Türkei und hat eine lange Tradition. Schon im Osmanischen Reich machten sich Karikaturisten über die Mächtigen lustig. Während der Gezi-Proteste im Jahr 2013 kritisierten die Demonstranten die islamisch-konservative Regierung und Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan vor allem mit viel Humor.

Eine aktive Zensur in der Türkei gibt es laut Küper-Büsch nicht. Aber unter 160 inhaftierten Künstlern und Journalisten sei auch ein Zeichner. Einer der bekanntesten Karikaturisten des Landes sitzt seit Monaten wegen Terrorvorwürfen in Untersuchungshaft: Musa Kart, Zeichner der regierungskritischen Zeitung „Cumhuriyet“.

Die Folge: Die Zeichner trauen sich immer seltener ans Politische ran. Gegen zahlreiche von ihnen laufen Verfahren vor allem wegen Präsidentenbeleidigung. Im vergangenen Jahr etwa wurden zwei Karikaturisten der Satire-Zeitschrift „Penguen“ wegen Beleidigung Erdogans zu hohen Geldstrafen verurteilt. Die Veröffentlichung der Zeitschrift wurde inzwischen unabhängig davon aus finanziellen Gründen eingestellt. Die verbleibenden bekanntesten Karikaturzeitschriften „LeMan“ und „Uykusuz“ kämpfen ebenfalls gegen wachsenden Druck der Regierung an.

Besonders riskant seien Abbildungen des Staatspräsidenten als Tier, erklärt die Kuratorin: „Tierdarstellungen gelten als Herabwürdigungen.“ Ein Hitlervergleich werde als unproblematischer empfunden als eine Giraffe oder eine Katze, „weil Erdogan als Führer in seiner Bewegung gesehen wird“, sagt Küper-Büsch.

Vom Druck, sich selbst zu zensieren, berichten Tan Cemal Genç und Ramize Erer. Sie sind zwei von fünf türkischen Künstlern, die zur Ausstellung nach Nordhessen reisen. Den Karikaturisten geht es nicht allein um Erdogan, sondern um Gesellschaftskritik. Ramize Erer, eine feministische Zeichnerin, eckt mit ihrer Figur, dem „bösen Mädchen“, oft bei Konservativen an. Denn das „böse Mädchen“ bricht Tabus wie die Darstellung weiblicher Sexualität.

Trotz der Situation in der Türkei wollen die Zeichner weiter arbeiten. Tan Cemal Genç veröffentlicht seine Werke zwar hauptsächlich in sozialen Netzwerken. Denn diese stünden weniger im Fokus der Behörden. Doch aufhören will er nicht: „Karikaturen sind immer noch die beste Form, gesellschaftliche Kritik auf scharfe und witzige Weise zu artikulieren.“

Die Ausstellung in Kassel ist vom 20. Juli bis 27. August 2017 zu sehen.