Marion Jones - Von der Doperin zur Diplomatin
Marion Jones galt erst als schnellste Frau der Welt, dann als Lügnerin. Jetzt will sie ein Vorbild werden.
Boston. Marion Jones’ Karriere nach der Karriere ist ebenso bizarr wie einst ihre Auftritte auf der Laufbahn oder im Gerichtssaal. Die 36-jährige Amerikanerin reist heute als Gesandte des US-Außenministeriums durch die Welt. Sie will auch Jugendliche in den USA mit ihrer Geschichte davor bewahren, vom rechten Weg abzukommen. „Take a break“ (Mach’ mal Pause), heißt ihr Programm, „Tritt einen Schritt zurück und überlege dir genau, wenn du eine Entscheidung treffen musst, die dein Leben ändern kann“, die dazugehörige Botschaft.
Jones hebt hervor, dass sie bei ihren Vorträgen nichts beschönige und die Leute eben genau das zu schätzen wissen. „Ich sage ihnen, wie es gewesen ist, welche Fehler ich gemacht habe und wie ich es geschafft habe, sie hinter mir zu lassen“, erklärt Jones. Dass jedoch ausgerechnet sie im Auftrag der US-Regierung um die Welt jettet, sorgt in Amerika durchaus für Kopfschütteln. „Was halten Sie davon? Doperin Jones ist jetzt Diplomatin für die USA“, fragte die „Chicago Tribune“ im Oktober, als der einstige Sprintstar erstmals in nationaler Mission in Serbien und Kroatien unterwegs war.
Schließlich hatte Jones jahrelang bundesstaatliche Untersuchungsbehörden im Zuge des Balco-Dopingskandals belogen, ehe sie dies im Oktober 2007 vor Gericht zugab. Zugleich hatte die fünfmalige Medaillengewinnerin von Sydney eingeräumt, von den Scheckbetrügereien ihres Ex-Freundes Tim Montgomery gewusst zu haben, nachdem sie dies zuvor ebenfalls vehement verneint hatte.
Allerdings hat sie nie eingestanden, aktiv gedopt zu haben, sondern sprach immer nur davon, im Glauben gewesen zu sein, von Trainer Trevor Graham Leinsamenöl verabreicht bekommen zu haben. „Marion hat über ihre Rolle im Zusammenhang mit leistungssteigernden Mitteln immer noch nicht ausgepackt“, meint Balco-Gründer Victor Conte.
Richter Kenneth Karas hatte Jones letztlich wegen Falschaussage in zwei Fällen nicht nur zu einer sechsmonatigen Freiheitsstrafe und 400 Stunden gemeinnütziger Arbeit verurteilt, sondern dem einstigen Glamour-Girl auch „kalkulierte Lügen“ vorgeworfen.
Trotz der kriminellen Vergangenheit sieht das US-Außenministerium Marion Jones als prädestiniert an, Teenagern den richtigen Weg in die Zukunft zu weisen: „Die Erzählungen aus ihrem eigenen Leben geben ihrer Botschaft Glaubwürdigkeit.“
Jones spricht leidenschaftlich, wenn sie von sich erzählt, sie redet davon, wie sehr sie sich gequält hat, wieder auf die Beine zu kommen. Und sie sieht sich selbst als „Quelle der Hoffnung“ für Jungsportler: „Du gibst niemals auf, du kämpfst — so lange, bis du wieder Erfolg hast.“
Was sie als ihren letzten großen Triumph ansieht, verrät Marion Jones aber nicht. Womöglich müsste sie wieder lügen. 2007 war sie pleite, 2008 in Haft, 2010 versuchte sie ein sportliches Comeback als Basketballerin für Tulsa Shock in der amerikanischen Liga WNBA. Doch selbst beim schlechtesten Team der Liga kam sie nie über die Rolle der Ersatzspielerin hinaus und wurde 2011 mitten in der Saison entlassen.