Medizin-Skandal: Krebs-Operationen gegen Spende
Staatsanwaltschaft ermittelt gegen Essener Medizin-Professor wegen Erpressung und Vorteilsannahme.
Essen. Bei Ermittlungen gegen den Essener Medizin-Professor Christoph Broelsch (62), der Kassenpatienten nur gegen vierstellige Spenden Operationstermine gegeben haben soll, sind weitere Fälle bekannt geworden. "Wir haben jetzt bereits zehn bis zwölf gesicherte Fälle", erklärte die Essener Staatsanwältin Angelika Matthiesen am Montag gegenüber unserer Zeitung. "Und wir gehen davon aus, dass diese Zahl noch weiter steigen wird."
Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen den international ebenso renommierten wie teilweise auch umstrittenen Transplantationsspezialisten wegen des Verdachts der Erpressung und der Vorteilsnahme. Er soll Kassenpatienten in zahlreichen Fällen angeboten haben, sie wie Privatpatienten zu behandeln und zügig zu operieren - wenn sie eine "Mindestspende" auf das "Spendenkonto Leberforschung" der Universitätsklinik Essen zahlen. Die Patienten hätten dann Summen zwischen 5000 und 10 000 Euro gezahlt, sagte Matthiesen.
Eine Krebs-Patientin war nach bisherigen Ermittlungen der Essener Staatsanwaltschaft vor der Zahlung drei Mal wegen angeblichen Bettenmangels abgewiesen worden, hatte dann aber nach einer Spende in vierstelliger Höhe einen Termin bekommen.
Auch eine Leserin unserer Zeitung aus dem Kreis Viersen berichtete Vergleichbares: Ihr inzwischen verstorbener Vater habe vor zweieinhalb Jahren am Essener Uni-Klinikum eine dringend benötigte Darm-OP gegen eine "Spende" von 7000 Euro "beschleunigen" müssen. Sie will sich nun mit der Essener Staatsanwaltschaft in Verbindung setzen.
Die Essener Staatsanwaltschaft rief am Montag Patienten, die vor einer Operation zu Spenden aufgefordert worden sind, dazu auf, sich zu melden. Bei der Essener Polizei wurde die Ermittlungskommission "EK Klinik" gegründet, die diese Meldungen entgegen nimmt. Die Rufnummer: 0201/829-0.
Die Überweisungen der Patienten oder deren Angehöriger seien auf ein Klinikkonto als Spende eingegangen, erklärte Staatsanwältin Matthiesen. Die weitere Verwendung der Gelder werde derzeit eingehend geprüft.
Für heute ist ein Gespräch des Uni-Klinik-Arztes mit dem Rektor geplant. Danach will die Universität zu einem möglichen Disziplinarverfahren oder einer Suspendierung des Arztes Stellung nehmen. NRW-Wissenschaftsminister Andreas Pinkwart (FDP) hatte in der vergangenen Woche bereits öffentlich die Suspendierung des Arztes gefordert.
Transplantationen Auf dem Gebiet der Lebertransplantationen (Foto) gilt Broelsch als Pionier. 1989 sorgte er weltweit für großes Aufsehen, als er in Chicago zum ersten Mal Teile einer Leber eines noch lebenden Menschen transplantiert hat. Damals erhielt ein todkrankes Kind die Spende seiner Mutter. Seit 1998 ist Broelsch Leiter der Klinik für Allgemein-, Viszeral- und Transplantationschirurgie in Essen.
Ermittlungen Anfang der 1990er-Jahre wurde gegen den Chirurgen wegen "akuter Sterbehilfe", vor fünf Jahren wegen Verdachts auf Organhandel ermittelt. Beide Verfahren wurden eingestellt.
Organspender Der Medizin-Professor fordert finanzielle Anreize für Spender, oder eine generelle Organentnahme im Todesfall, sofern zu Lebzeiten nicht widersprochen wurde. So sollten Nierenspendern 10 000 Euro gezahlt werden, weil sie der Allgemeinheit die Kosten für die Dialyse ersparten.