Meuterei vor 225 Jahren: Der Mythos „Bounty“ lebt
London (dpa) - Skrupellose, machtbesessene Kapitäne geben großartigen Romanstoff ab. Man denke an Ahab in „Moby Dick“ und Flint in der „Schatzinsel“. Oder Kapitän Bligh, gegen den die Mannschaft der „Bounty“ meuterte.
Dass der echte William Bligh gar kein Kapitän war, sondern nur Leutnant, und möglicherweise auch gar nicht besonders grausam, spielt für den „Bounty“-Mythos keine Rolle. In den meisten Versionen der Erzählung drangsaliert er seine Mannschaft dermaßen, dass man ihm die Meuterei von Herzen gönnt. Am Montag (28. April) ist es genau 225 Jahre her, dass die Besatzung der „Bounty“ Bligh dem vermeintlich sicheren Tod auf dem Meer überließ.
Zusammengefasst beschreibt das Royal Navy Museum im südenglischen Portsmouth die Geschichte so: Etwa 45 Seeleute reisen 1787 unter britischer Flagge in die Südsee, um Brotfruchtbaum-Stecklinge aus Tahiti auf die Antillen zu transportieren. Auf dem Rückweg meutert ein Teil der Mannschaft, allen voran Fletcher Christian. Bligh und knapp 20 Männer, die zu ihm halten, werden am 28. April 1789 auf einer Barkasse ausgesetzt.
Bligh erreicht mit seinen Leuten einen europäischen Stützpunkt. Ein Teil der Meuterer bleibt auf Tahiti und wird später festgenommen. Christian und einige andere siedeln sich auf der ziemlich einsamen Insel Pitcairn im Südpazifik an, wo bis heute noch direkte Nachkommen der Meuterer leben.
Dramatische Stürme auf hoher See, der Machtkampf zwischen Bligh und Christian, knapper Proviant und Liebesbeziehungen zwischen der Besatzung und schönen Tahitianerinnen - die „Bounty“-Erzählung hat alles, was großes Kino braucht. Tatsächlich sind es wohl vor allem die Verfilmungen, die das Schicksal des Dreimasters und seiner Besatzung, das schon die Zeitgenossen elektrisierte, bis heute zum Allgemeingut nicht nur für Seefahrt-Fans machen.
Clark Gable, Marlon Brando und Mel Gibson durften 1935, 1962 und 1984 jeweils Fletcher Christian und damit den heldenhaften Kontrahenten des grausamen Bligh spielen - allerdings hält sich die jüngste Verfilmung stärker an die Tatsachen als ihre Vorgänger. Als Quellen dienen etwa zeitgenössische Zeitungsberichte, Blighs Aufzeichnungen und Gerichtsakten der Prozesse gegen ihn und die Meuterer.
Experten sind sich weitgehend einig: Bligh war für seine Zeit gar nicht ungewöhnlich sadistisch. „Ich habe keinen Grund zu strafen, ich habe keine Missetäter, und alles läuft nach meinen höchsten Erwartungen“, schrieb er in einem Brief von unterwegs, den die englischsprachige Autorin Caroline Alexander in ihrem Buch „Die Bounty“ dokumentiert. Und dass mangelnde Disziplin mit der „neunschwänzigen Katze“ bestraft wurde, die man heute eher in Foltermuseen findet, war durchaus üblich.
Ist Bligh vielleicht sogar der heimliche Held der Geschichte? Dass er sich und die anderen Männer in einem überfüllten Boot und unter kaum vorstellbaren Entbehrungen 41 Tage lang unfallfrei fast 6000 Kilometer durch die Südsee navigierte, ist zweifellos eine Meisterleistung. Nur ein Mann kam unterwegs um, und den erschlugen Einheimische auf einer Insel.
Zu wem man 225 Jahre nach der Meuterei auch hält, faszinierend bleibt die „Bounty“ auf jeden Fall. Neben den drei großen Verfilmungen gibt es unzählige Dokus, Fernsehfilme, Hörspiele, Romane und Sachbücher, die die Geschichte nacherzählen oder an sie anknüpfen. Sogar für einen Schokoriegel stand das Schiff Pate.
Und wer die „Bounty“ selbst in Augenschein nehmen will, kann das tun. Vor der Insel Pitcairn liegt zwar nur noch ihr Wrack, und der Kino-Nachbau aus den 60er Jahren fiel 2012 dem Hurrikan „Sandy“ zum Opfer. Die zweite Film-„Bounty“ liegt aber bis heute, nach wie vor seetüchtig, im Hafen von Hongkong.