Montags mit Woody Allen: Jazz im Carlyle Hotel

New York (dpa) - Woody Allen sagt kein Wort. In beigefarbenem Hemd, beigefarbener Hose und braunen Schuhen schlappt der Star-Regisseur durch eine Hintertür in die dicht besetzte Bar des New Yorker Carlyle Hotels.

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Mit ausdrucksloser Miene setzt er sich auf einen freien Stuhl, klappt einen schwarzen Kasten auf, holt eine Klarinette heraus, baut sie zusammen, befeuchtet das Mundstück, schiebt seine Brille auf die Stirn und wieder zurück vor die Augen und spielt ein paar Töne. Die etwa 100 Menschen in der engen Hotelbar verfolgen jede seiner Bewegungen ganz genau und knipsen dutzende Handy-Fotos.

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Allen gibt sich so unbeeindruckt, wie nur er es kann. Der Montagabend im Carlyle ist sein Fixpunkt. Begleitet von der Eddy Davis New Orleans Jazz Band tritt er seit mehr als 15 Jahren jeden Montagabend hier auf, mit nur wenigen Monaten Pause im Jahr.

Der dutzendfach preisgekrönte Regisseur und Schauspieler ist inzwischen 78 Jahre alt, dreht immer noch so gut wie jedes Jahr einen Film und um ihn herum tobt ein erbitterter Streit, um Missbrauchsvorwürfe seiner Adoptivtochter Dylan Farrow. Aber in all dem Trubel macht sich Allen trotzdem an den meisten Montagen auf den Weg von seinem Haus in der 70. Straße im noblen Viertel Upper East Side in Manhattan in das nur wenige Straßenblocks entfernte Edel-Hotel. Wenn er einmal nicht kann, darf auch kein anderer ihn ersetzen, das hat er so festgelegt.

Der Montags-Termin steht auf der Wunschliste vieler New Yorker und Touristen ganz oben, aber die Tickets sind meist Monate im Voraus ausverkauft und zudem extrem teuer. Schon der Platz auf einem schnöden Barhocker kostet 110 Dollar (etwa 80 Euro), wer einen Tisch haben will, muss deutlich mehr zahlen. Dazu kommen 25 Dollar Mindestverzehr, die bei 19 Dollar für ein Hummersüppchen und happigen 195 Dollar für eine Portion Kaviar schnell zusammenkommen. „Die Tickets waren eine Überraschung für meinen Freund zum Jahrestag unseres Kennenlernens“, flötet eine Blondine an der Bar. Der Freund strahlt und bestellt sich noch einen Drink.

Der Star des Abends hat unterdessen die Bühne betreten. Sieben Musiker sind versammelt, aber alle Blicke ruhen auf Allen - und der Regisseur ist sich dessen genau bewusst. „Der Großteil der Zuschauer hat keine Ahnung von Jazz“, sagte er einmal der New Yorker „Village Voice“. „Sie sagen "Ich mochte ihn in seinen Filmen und will ihn mal sehen" oder "Ich habe seine Filme gehasst und will ihn mal sehen".“

Allen schließt die Augen, schlägt die Beine übereinander, zieht die Schultern zusammen, setzt die Klarinette an und versinkt in der Musik. Wenn er nicht im Einsatz ist, stellt er sein Instrument auf dem rechten Oberschenkel ab, holt ein Tuch aus der Hosentasche und wischt sich über den Mund, wippt mit den Füßen oder mustert mit der Hand auf der Stirn den Raum. Ansonsten lässt er die Augen meist geschlossen. Hin und wieder plaudert er mit dem Banjo-Spieler Eddy Davis neben sich. Zum Publikum, das jeden seiner Einsätze mit Jubel und begeistertem Applaus feiert, spricht er kein Wort.

Die Band, die auch schon auf Tour unter anderem in Deutschland war, spielt fast ausschließlich Jazz aus dem frühen 20. Jahrhundert, Allens Lieblingsmusik. „Jazz verbreitet eine mystische Stimmung, die Zeit hat das mit sich gebracht“, sagte der Regisseur der „Village Voice“. „Und der frühe Jazz ganz besonders, denn das war die Geburt dieser Kunstform. Ich liebe ihn einfach.“

Ein besonders guter Musiker sei er aber trotz jahrzehntelanger Übung nicht, gibt Allen zu. „Ich sage das nicht als Witz: Auch um so schlecht zu sein, wie ich es bin, muss man jeden Tag üben. Ich bin ein Hobby-Musiker. Ich habe kein besonders gutes Ohr für Musik. Ich bin ein sehr schlechter Musiker, wie ein Sonntags-Tennisspieler.“ Er bekomme einfach nicht genug Gefühl durch seine Klarinette vermittelt. „Ich rackere mich ab und versuche alles, um diese Note herauszuquetschen und das Gefühl hereinzupacken, aber es passiert einfach nicht.“

Trotzdem übe er standhaft weiter. „Wenn ich mal einen Tag aus welchem Grund auch immer nicht übe, was sehr selten ist, fühle ich mich so schlecht, dass es das einfach nicht wert ist. Aber auch wenn ich viel mehr üben könnte, so fünf Stunden am Tag, ich würde einfach nie großartig werden. Ich habe es einfach nicht in mir.“ Sein Band-Kollege Davis verteidigt den Regisseur. „Er verkauft sich unter Wert, ich hasse es, dass er das immer macht.“ Auch die Zuschauer sind von Allen begeistert. „Er spielt toll“, sagt das Paar an der Bar. „Wir sind hier, weil wir seine Filme lieben, aber jetzt lieben wir auch seine Musik.“

Nach rund zwei Stunden spielt Allen den letzten Ton, atmet tief durch und greift nach seinem Klarinettenkasten. Während das Publikum klatscht und jubelt, baut er sein Instrument auseinander, reinigt und verpackt es wieder. „Danke“, murmelt der Regisseur kaum hörbar, steht auf und schlurft auf die Hintertür zu, die Miene so unbeeindruckt, wie nur Allen es kann.