„Mord ohne Leiche“ muss neu verhandelt werden
Karlsruhe (dpa) - Abgehörte Selbstgespräche dürfen in den meisten Fällen nicht vor Gericht verwertet werden. Deshalb muss der Prozess um den sogenannten Mord ohne Leiche erneut aufgerollt werden.
Das entschied der Bundesgerichtshof (BGH) am Donnerstag in Karlsruhe (Az. 2 StR 509/10) Das Landgericht Köln hatte vor zwei Jahren ein Trio wegen des Mordes an einer Frau verurteilt. Da die Leiche nicht gefunden wurde, galt ein im Auto abgehörtes Selbstgespräch des Hauptverdächtigen als entscheidendes Indiz. Die neue Verhandlung muss nun klären, ob die ansonsten vorliegenden Hinweise für eine Verurteilung ausreichen.
Für den Bundesgerichtshof gehören die meisten Selbstgespräche zum „innersten, unantastbaren Bereich der Persönlichkeit“. Für sie gelte der Spruch „Die Gedanken sind frei“. Jeder Mensch habe das Recht auf einen „Kernbereich privater Lebensgestaltung und Lebensäußerung, in welcher der Staat auch zur Aufklärung schwerer Straftaten nicht eingreifen darf“, heißt es in der Urteilsbegründung.
Das Landgericht Köln hatte einen damals 46 Jahre alten Mann und zwei Mittäter wegen Mordes an seiner 33 Jahre alten philippinischen Ehefrau zu einer lebenslangen Haft verurteilt. Die Frau wollte sich von ihm trennen und den fünfjährigen Sohn mitnehmen. Laut Urteil heckte er die Tat gemeinsam mit seiner kinderlosen Schwester und deren Mann aus, bei denen der Sohn künftig wohnen sollte.
Während des Prozesses schwiegen die Beschuldigten beharrlich. Bei der Urteilsbegründung berief sich das Gericht auf mehrere im Auto des Hauptverdächtigen abgehörte Gespräche und Selbstgespräche, bei denen unter anderem die Worte „tot gemacht“ fielen. Diese Beweise sind nun nicht mehr verwertbar.
Eine andere Kammer des Landgerichts Köln muss den Fall erneut aufrollen und die anderen Indizien prüfen, etwa das Zeitraster von Telefondaten der Verdächtigen oder die Tatsache, dass der Mann seinen Sohn kurz nach Verschwinden der Frau auf seine Adresse umgemeldet hatte.
Nach dem Urteil des BGH fällt allerdings nicht jedes Selbstgespräch unter den Schutz der Privatsphäre. Folgende Kriterien gelten: Die Äußerungen müssen klar als Selbstgespräch zu erkennen sein, als unbewusste oder auch bewusste Äußerung von Gedanken. Sobald für den Betroffenen ersichtlich ist, dass andere mithören könnten, etwa in einem Zimmer oder in der Fußgängerzone, gilt der Schutz nicht mehr. Das Selbstgespräch muss außerdem in einem Raum stattfinden, an dem sich der Betroffene vor Abhöraktionen sicher fühlt.
Ein Selbstgespräch zeichnet sich für die Richter zudem dadurch aus, dass die Sätze oft nur bruchstückhaft geäußert werden und deshalb der Interpretation bedürfen. „Das ist ein wesentlicher Unterschied zum Tagebucheintrag“, erläuterte der Vorsitzende Richter Thomas Fischer. Solche Aufzeichnungen können bei schweren Straftaten wie Mord berücksichtigt werden. Beim Selbstgespräch dagegen wiegt das Recht auf Privatsphäre stärker als das Bedürfnis, einen Mord aufzuklären.