Nach Amoklauf: Hat die Polizei versagt?

Der finnische Ministerpräsident fordert schärfere Waffengesetze.

Kauhajoki. Nach dem Amoklauf an einerfinnischen Berufsschule sind Ermittlungen über ein mögliches Versagender Polizei eingeleitet worden. Untersucht würden die „Ereignisse inden Tagen vor dem Amoklauf“, sagte Ministerpräsident Matti Vanhanen amMittwoch in Kauhajoki, wo am Vortag ein 22-Jähriger neun Mitschüler undeinen Lehrer seiner Berufsschule erschossen hatte, bevor er sich selbsttötete.

Noch am Vortag hatte die Polizei den Täter wegen mehrererGewalt-Videos auf YouTube vernommen, aber keine weiteren Maßnahmenergriffen. Als Konsequenz des zweiten Amoklaufs an einer Schule binneneines Jahres kündigte Vanhanen schärfere Waffengesetze an.

"Es scheint, als hätte die Polizei sofort reagiert und den jungen Mannvernommen, aber wir wissen nicht, über welche Informationen sieverfügte und warum seine Waffenlizenz nicht entzogen wurde“, sagteVanhanen vor einem Treffen mit Angehörigen der Opfer.

Ein unabhängigerStaatsanwalt wurde nach seinen Angaben bereits mit den Ermittlungenbeauftragt. Die Leichtigkeit, mit der in Finnland Waffen zu bekommenseien, sehe er sehr kritisch, betonte Vanhanen weiter. Bereits amVorabend hatte der Regierungschef im Sender YLE den Besitz vonHandfeuerwaffen durch Privatleute kritisiert.

Seiner Ansicht nachgehörten derartige Waffen ausschließlich auf Schießplätze, sagte er.Auch die beiden Amokschützen von Kauhajoki und Tuusula, wo ein18-Jähriger im November acht Menschen erschossen hatte, hatten ohneProbleme einen Waffenschein bekommen.

Finnland liegt weltweit in der Statistik der Waffenbesitzer an dritterStelle hinter den USA und dem Jemen. In dem Land dürfen schon15-Jährige legal Schusswaffen besitzen. Die Umsetzung einerEU-Richtlinie, die ein Mindestalter von 18 Jahren vorschreibt, liegtseit Monaten auf Eis.

Nach jüngsten Erkenntnissen der Polizei war der 22-jährigeBerufsschüler Matti Juhani Saari während eines Examens in eine Klassegestürmt und hatte mit seiner kleinkalibrigen Pistole gezielt aufSchüler und Lehrer geschossen. Als Polizei und Sanitäter eintrafen,feuerte er auch auf sie, ohne jemanden zu verletzen.

Mit Hilfe von Brandbeschleunigern, die er in einem Sack bei sich trug,setzte er das Klassenzimmer und andere Teile der Schule in Brand, bevorer die Waffe gegen sich selbst richtete. Alle Opfer befanden sich indem Klassenraum. Ob sie durch Schüsse starben oder in den Flammenumkamen, war zunächst unklar.

Einige Leichen waren völlig verkohlt,ihre Identifizierung sollte Tage dauern. Laut Polizei stammen alleOpfer aus Kauhajoki oder der Umgebung.
In ganz Finnland waren die Flaggen auf Halbmast, das Land trauerte umdie Opfer. In den Medien herrschte unterdessen eine heftige Debatteüber die Gründe für das in Finnland relativ neue Phänomen.

Neben denliberalen Waffengesetzen, der Gewalt im Internet und der zunehmendenVereinzelung des Menschen stellten sie auch das Schulsystem in Frage,das laut PISA zu den besten weltweit gehört. „Vielleicht streben wir zusehr nach Leistung - auf Kosten der Gemeinschaft“, schrieb die führendeZeitung „Helsingin Sanomat“ am Mittwoch. „Haben wir vor lauterBildungsvermittlung das Einfühlungsvermögen verloren?“.

Traurig und ratlos zeigten sich auch die Menschen. „Wir haben es dochso gut. Warum dann das?“, sagte der Fabrikmanager Jari Huhtanen einemAFP-Korrespondenten. Er beschrieb seine Landsleute als eher reserviert,eigenbrötlerisch und wortkarg.

„Wir lachen nur selten, haben nur seltenSpaß miteinander“, klagte er. Ähnlich scheint es auch RegierungschefVanhanen zu sehen. Er regte am Mittwoch an, den „Gemeinschaftssinn“ inseinem Land zu fördern, um ähnliche „schockierende Taten“ wie am Vortagkünftig zu verhindern.