Nachts in der Muckibude
Sport Ein buntes Völkchen trifft sich nach Mitternacht, um in Ruhe an den vielen freien Geräten zu trainieren.
Bonn. Mitternacht: Während viele Menschen sich genüsslich im Bett kuscheln, hat Marcus Lauffs ein wachsames Auge auf drei Etagen mit schwitzenden Sportlerkörpern. "Mein kleiner Club" nennt der 23 Jahre alte Nachtwächter liebevoll die Bonner Filiale einer Fitnessstudio-Kette. Tagsüber locken dort Trainer mit Fachwissen, nachts vor allem freie Geräte und Ruhe die Kunden in Sportkleidung. Tatsächlich verteilt sich zur Geisterstunde noch ein gutes Dutzend Trainierender auf die Maschinen. Das "Du" scheint obligatorisch, beim nächtlichen "Pumpen" sind alle Kumpel.
Einer davon ist Jura-Student Kristian. Tagsüber bleibe einfach keine Zeit mehr für Sport, wenn man wie er bis 23 Uhr in der Uni sitze. Warum er sich danach noch aufrafft? "Damit das Mensa-Essen nicht ansetzt." Die Waage gibt ihm Recht: Acht Kilo hat er sich in seinen Nachtschichten seit März schon abgerungen.
Vom Erfolg beflügelt begibt sich Kristian ans nächste Gerät, "Butterfly" (Schmetterling) genannt - und so filigran wie eine Autopresse. Geredet wird nicht mehr, nur ein regelmäßiges Keuchen ist noch im Raum zu hören. Zusammen mit der rhythmischen Musik aus den Lautsprechern macht es das nächtliche Ambiente des Studios komplett.
Zwei Stockwerke höher durchbricht ein Gespräch diesen Trainings-Pulsschlag: Die ehemaligen Sportpartner Jürgen und Jan sehen sich seit zehn Jahren zum ersten Mal wieder. Damals machte ihr altes Fitnessstudio zu, und die beiden verloren sich aus den Augen.
Jeder trainierte im neuen Studio weiter, ohne vom anderen zu wissen - der eine früh morgens, der andere nachts. Ausnahmsweise kam Jürgen am Donnerstag ein paar Stunden eher trainieren, und jetzt schwelgen beide in Erinnerungen an die Zeit, in der Drogen und Prügeleien noch die richtig harten Jungs in die "Muckibuden" lockten. "Früher konnte man als Amateur froh sein, wenn man nicht mit Hanteln beworfen wurde." Kein Vergleich zu den modernen "Kaufhaus-Studios", wie Jan sie nennt.
Mehr als 100 dieser Studios gehören zur der Kette, alle haben 24 Stunden am Tag, 365 Tage im Jahr geöffnet. Die Mitgliederzahl beläuft sich nach Angaben des Unternehmens auf über 800 000. Schon 1997 gab es in Würzburg das erste 24-Stunden- Studio, um dem Wunsch nach zeitlicher Flexibilität seiner Kunden entgegenzukommen. Thilo nutzt diese Flexibilität gerne. Der 18-jährige Schüler kommt regelmäßig um 3Uhr früh. Das sei nicht ermüdend, ganz im Gegenteil: "Da ist man hinterher wach, wenn man in der Schule sitzt." Außerdem könne man sich um die Uhrzeit jedes Gerät zum Trainieren aussuchen. Auf die Frage, wann er denn ins Bett gehe, lacht er: "Um acht!"
Auf ihre Koje freut sich inzwischen auch Frances. Die Krankenschwester kommt aus dem Spätdienst zum Training, um sich noch einmal auszupowern. Nachts ihren Körper zu Höchstleistungen zu zwingen, findet sie ganz normal: "Reine Gewöhnungssache!" Außerdem seien zu dieser Stunde "weniger nervende Typen unterwegs".
Das kann Nachtwächter Marcus nur bestätigen: "Supercool drauf, die Leute!" Supercool steht auch er hinter dem Tresen am Eingang, verteilt bei Small-Talk Handtücher und gute Ratschläge - sei das Thema Religion, Autos oder eine neue Einbauküche. Ihm gefalle vor allem sein buntes Publikum. "Vom Taxifahrer bis zum Unternehmensberater ist hier jeder vertreten", sagt er.
Da öffnet sich schließlich die Glastür zum Studio und es kommt jener Hüne herein, den jemand mit landläufigen Vorurteilen gegen Bodybuilder in einem Fitnessstudio erwarten würde: Zwei Meter groß, einsfünfzig breit, Drei-Tage-Bart. Was ihn denn um diese Uhrzeit ins Fitnessstudio ziehe? Seine Antwort ist deutlich und duldet keinen Widerspruch: "Ich komm’ extra nachts, damit ich nicht voll gequatscht werde!"