Netzkultur: Toni Mahoni - Multimedialer Volkstherapeut
Zehntausende verfolgen jede Woche Toni Mahonis Internetauftritte. In breitem Berlinerisch erzählt und singt er schräge Alltagsweisheiten in seine kleine Digitalkamera.
Berlin. Toni Mahoni ist erkältet. Nur dank einer grenzwertigen Dosis Grippetabletten hat er es in das Friedrichshainer Café geschafft. Seine Stirn glänzt. Trotzdem zieht er an seiner selbstgedrehten Zigarette wie andere befreit ausatmen. Gestern hatte er noch mit Fieber im Bett gelegen. Jetzt bestellt er ein großes Bier. "Watt trinkst Du denn da Lustjet", sagt er in breitem Berlinerisch und blickt auf eine Apfelschorle.
Dunkelbraune Haare, Ziegenbart, die großen runden Augen auf Halbmast und die Nase in Form eines Krummsäbels: Mahonis Gesicht hat es zu einiger Berühmtheit gebracht.
Spätestens seit Anne Will den 31-Jährigen im vergangenen Jahr in den "Tagesthemen" zum Star der Blogger-Szene erklärt hat. Das heißt zum Star einer unüberschaubaren Zahl von Menschen, die regelmäßig Beiträge in Wort, Ton und Bild ins Netz stellt - von peinlich bis anspruchsvoll. Ein x-beliebiger Laptop kann zur Sendeanstalt werden. Minimaler Aufwand trifft auf maximales Zuschauerpotenzial. Zehntausende verfolgen Woche für Woche Mahonis ungeschnittene, improvisiert wirkende und etwa fünf Minuten lange Videos, in denen er mal traurige, mal lustige und meist angeschrägte Geschichten singt und erzählt.
Und was ist das für ein Typ, dieser Mahoni? "Er ist die Stimme der Abgekackten", sagt Mahoni über Mahoni, "eine Art Volkstherapeut, immer auf der Suche nach einem Sonnenstrahl, an dem er sich festhalten kann."
Mahoni betrachtet die Welt von unten nach oben. Da singt er zum Beispiel an seinem Schreibtisch sitzend zur Schrammelgitarre in die Kamera: "Mein kleiner Bäcker macht bald zu und schuld daran bist Du. Weil Du niemals bei ihm koofst, weil Ihr nur in die Supermärkte looft." In einem nächsten Blog klagt er, dass der Flaschenpfand in einer Aldi-Tüte seine einzige Wertanlage ist, mal fragt er, was bei den Damen und Herren vom Ordnungsamt - "den Ordnungsverhüterlis" - in der Familie schief gelaufen sein muss, dann erzählt er von einem Alkoholikertreff vor einer Curry-Bude. Mal trifft er Robert de Niro beim Bäcker oder warnt vor zu viel Zeit im Internet: "Verliert Euch nicht", raunt er mit der stets tiefergelegten Reibeisenstimme, die ein wenig an Tom Waits erinnert.
"Dieser Sound gehört aber nur zur Figur", sagt Mahoni mit ungewohnt weicher Stimme, während er sich noch eine Zigarette dreht. Denn eigentlich sitzt da gar nicht Toni Mahoni, sondern Toni Santowski. Mahoni ist das Alter Ego des gebürtigen Berliners. Aber die Unterschiede verwischen. Zu viel von Mahoni steckt in Santowski und umgekehrt. Und vielleicht funktioniert die Figur gerade deshalb so gut.
Nachdem Santowski vor knapp zwei Jahren erste Videos auf seine Homepage gestellt hatte, wurde er durch Zufall von Johnny Haeusler, Gründer des Spreeblick Verlages, entdeckt. Seitdem erscheinen Mahonis Filme auf der Spreeblick-Homepage, die 2006 mit dem Grimme Online Award ausgezeichnet wurde. "Ich beschäftige mich gar nicht so sehr mit Blogs. Ich bin auch kein Internet-Junkie oder so. Ich bin schon froh, dass ich weiß, wie der Computer hochfährt." Auch sein Fernseher bleibt meist aus. "Ick les’ lieber Zeitung." Santowski macht gern sein eigenes Ding - packt das Leben mit beiden Händen, schüttelt und guckt, was unten rauskommt.
Er zieht seinen Kapuzenpulli aus und bestellt noch ein Bier. Santowskis Kiez heißt seit Jahren Friedrichshain. Aufgewachsen ist er im Industrieviertel Schöneweide. Seine erste Zigarette rauchte er mit zwölf, heute sind es 30 am Tag. Auf einen Abi-Schnitt von 3,0 folgte ein Soziologiestudium, das er fünf Tage aushielt. Santowski heuerte als Tellerwäscher und Staubsaugervertreter an. Zurzeit verdient er sein Geld mit Pokalen aus Fimo - vor allem mit Maßanfertigungen für BMX-Wettbewerbe. Mit seinem Bruder knetet er filigrane Figuren, die auf eine bunte Skulptur gesetzt spektakuläre Tricks vollführen. Bis zu 250 Euro das Stück. "Das Geschäft läuft ganz gut." Santowski scheint getrieben von Lust auf Kreationen und Kreaturen aller Art. So erscheint der Sprung vom Fimo-Pokal zu Toni Mahoni gar nicht mehr so weit.
Die Kunstfigur entwickelt sich mittlerweile multimedial: Auf CD, im Netz, auf der Bühne, bei Radio Fritz, ein Buch ist in Arbeit, T-Shirts mit dem obligatorischen Abschiedsgruß "Rinnjehaun!" gibt’s für 18,90 Euro. Auch Werbung hat Mahoni gemacht - für Zippo-Feuerzeuge. Die meisten Angebote lehnt er jedoch ab. Für MyVideo.de sollte er sogar Fernsehwerbung machen. "Dafür ist mir Mahoni zu schade", sagt Santowski. In Frage käme nur Genussmittel-Reklame. "Für Bier, Kaffee und Zigaretten", sagt er und lacht.
Auch im Fernsehen könnte Mahoni auftauchen. Das ZDF plant für den kurzen Wechsel vom Nacht- zum Tagesprogramm ein Big-Brother mit zwei Hamstern. Mahoni hat sich als Erzähler eine von Nietzsche inspirierte Liebesgeschichte einfallen lassen. Noch ist offen, ob der gedrehte Pilot über den Sender und die Geschichte in Serie geht.
Erste Auftritte: Vor allem inBerlin ist Toni Santowski alias Toni Mahoni schon länger bekannt. Denersten Auftritt legt er mit 16 als Sänger der Punkrockband Tobsucht ineiner kleinen Countrykneipe hin. Danach probiert er sich einige Zeitals Liedermacher. Vor knapp zehn Jahren gründet Santowski TheMarvellers!, eine Band, mit der er eine erste Fangemeinde um sichscharen kann und sogar eine CD veröffentlicht. "Das war Trash-Pop fürMädchenherzen", sagt Santowski heute.
Toni Mahoni & Band: Vor zwei Jahren haben sich TheMarvellers! getrennt. "Wir waren eine Demokratie und haben unszerstritten. Deshalb habe ich in meiner neuen Band die Diktatureingeführt", sagt er und lacht. Dort singt er zum ersten Mal als Mahoni- mit der für ihn typischen tiefergelegten Stimme.