Neuer Peggy-Prozess beginnt mit Foltervorwürfen gegen Ermittler
Bayreuth (dpa) - Der neue Prozess gegen den geistig Behinderten Ulvi K. wegen Mordes an der neunjährigen Peggy hat mit schweren Vorwürfen gegen Polizei und Staatsanwaltschaft begonnen. „Mein Mandant ist während der Vernehmung auch gefoltert worden“, sagte Verteidiger Michael Euler vor dem Landgericht Bayreuth.
Ermittlungspannen, Falschaussagen und fehlerhafte Ergebnisse hätten dazu geführt, dass Ulvi K. im April 2004 zu lebenslanger Haft verurteilt wurde - dabei sei bis heute keine Leiche gefunden worden.
Der Fall muss neu aufgerollt werden, weil beim ersten Prozess nicht bekannt war, dass die Ermittler eine Tathergangshypothese angefertigt hatten - sie war dem späteren Geständnis von Ulvi K. verblüffend ähnlich. Zudem widerrief ein wichtiger Belastungszeuge seine Aussage. Er hatte behauptet, Ulvi K. habe ihm den Mord an Peggy gestanden. Dies sei jedoch eine Lüge gewesen, räumte er später ein.
Euler hält seinen heute 36 Jahre alten Mandanten für ein Justizopfer: „Denn es ist nur schwer zu glauben, dass ein geistig Behinderter das perfekte Verbrechen begangen haben soll. Ohne Leiche. Ohne Spuren.“ Ein Polizist habe damals mit seinem Daumen in den Rücken des Angeklagten gedrückt und ihm Schmerzen zugefügt, sagte der Verteidiger. Die Staatsanwältin Sandra Staade wies den Folterverdacht zurück und warf Euler vor, sich im Ton vergriffen zu haben.
Ulvi K. habe bei seinen damaligen Vernehmungen insgesamt vier völlig widersprüchliche Geständnisse abgelegt, sagte Euler. Er zitierte aus einem psychiatrischen Gutachten, wonach Ulvi K. die Begabung habe, selbst Lügengeschichten äußerst fantasiereich zu erzählen. Die Geständnisse seien solche Fantasiegeschichten gewesen.
Am 7. Mai 2001 war die Schülerin Peggy im oberfränkischen Lichtenberg spurlos verschwunden. Ulvi K. nannte den Ermittlern verschiedene Orte, wo er Peggys Leiche angeblich verschwinden ließ. Doch an keiner Stelle wurde das Mädchen gefunden.
Ulvi K. habe aus panischer Angst vor dem Gefängnis die Geschichten erzählt, sagte Euler. Die Beamten hätten ihn teils mit Schokolade zu Aussagen überredet. Immer wieder sei ihm eingeredet worden, er müsse nicht ins Gefängnis, wenn er nur die Wahrheit sage. Der Gastwirtssohn, der damals das geistige Niveau eines Zehnjährigen gehabt habe, sei nach den Befragungen immer „fix und fertig“ gewesen. Er habe am ganzen Körper gezittert und mit Medikamenten beruhigt werden müssen. „Selbst jemand, der nicht geistig behindert ist, gibt in so einer Situation vieles zu“, sagte Euler.
Staatsanwalt Daniel Götz verlas zum Auftakt - von wenigen Ausnahmen abgesehen - die gleiche Anklageschrift wie beim ersten Prozess vor zehn Jahren. So sehen es die Regularien für ein Wiederaufnahmeverfahren vor. Die Strafkammer am Landgericht Hof war vor zehn Jahren davon überzeugt, dass Ulvi K. die Schülerin zunächst auf einem Feldweg verfolgte und ihr dann so lange Mund und Nase zuhielt, bis sie sich nicht mehr rührte. Mit diesem Mord habe er einen vier Tage zuvor begangenen sexuellen Missbrauch an Peggy vertuschen wollen, hieß es im Urteil.
Staatsanwältin Staade entgegnete Euler, er habe nur die für seinen Mandanten entlastenden Fakten aus den Ermittlungsakten erwähnt. Einiges sei auch falsch geschildert worden. Für das Verfahren sind zunächst zehn Verhandlungstage angesetzt.
Als erster Zeuge schilderte ein früherer Ermittlungsrichter, wie es vor gut zehn Jahren zu der verhängnisvollen Falschaussage des damaligen Belastungszeugen gekommen war. Der mittlerweile gestorbene Zeuge hatte im ersten Prozess 2004 behauptet, der Angeklagte Ulvi K. habe ihm den Mord an der neunjährigen Schülerin Peggy gestanden. Im September 2010 widerrief er diese Behauptung gegenüber dem Ermittlungsrichter.
Der Jurist schilderte diese Wende so: „Bei seiner Vernehmung berichtete er mir, es sei ihm von der Polizei nahegelegt worden, zu sagen, Ulvi K. habe das Mädchen erdrosselt.“ Dem Mann sei als Gegenleistung angeblich versprochen worden, aus der Psychiatrie frei zu kommen, in der er zusammen mit Ulvi K. saß. „Dass es so ein Angebot gab, glaube ich persönlich allerdings nicht, könnte mir aber vorstellen, dass er sich das eingebildet hat.“
Seine Falschaussage habe den 55-jährigen Mann später sehr belastet, berichtete der Zeuge. Sein Rechtsbeistand soll ihm aber geraten haben stillzuhalten, bis die Falschaussage verjährt sei. Erst als bereits todkranker Mann habe er dann reinen Tisch gemacht.