Norwegen: Wohin mit all den Gefangenen?
Norwegen sucht händeringend nach Möglichkeiten, Straftäter festzusetzen. Die Niederlande könnten eine Lösung bieten.
Oslo. Wenn sich die Kriminalität in einem Land nach der Auslastung der Gefängnisse bemessen ließe, dann wäre Norwegen voller Gangster — und die Niederländer wären Unschuldsengel. Das stimmt so natürlich nicht. Wahr ist aber: Hoch im Norden platzen die Haftanstalten aus allen Nähten, während die Niederlande in ihren Gefängnissen jede Menge Platz haben.
Auf der Warteliste für einen Zellenplatz in Norwegen stehen über tausend Namen. „Auch für die U-Haft fehlen uns die Plätze“, sagt Vidar Brein-Karlsen vom Justizministerium. So dramatisch ist die Zellennot, dass Norwegen seine Gefangenen ins Ausland ausquartieren will.
„Zellen zu vermieten, Wärter inklusive“: So etwa könnte eine Anzeige der niederländischen Justiz lauten. 1500 Gefängniszellen im Land stehen leer — und 20 von rund 50 Gefängnissen vor der Schließung. In Norwegen dagegen warten 1300 verurteilte Straftäter zur Zeit länger als drei Monate auf einen Zellenplatz.
Mit den Norwegern sprechen die Niederlande jetzt über die Aufnahme von deren Straftätern. Die Wärter wollen sie gleich mitvermieten. Denn zum ersten Mal in der Geschichte des Landes gibt es heute mehr Mitarbeiter als Gefangene in den Justizvollzugsanstalten.
Mit Mietern aus dem Ausland haben sie Erfahrung: Seit 2010 sitzen im Gefängnis Willem II in Tilburg im Süden des Landes 650 Straftäter aus Belgien ein. „Das Gefängnis bleibt niederländisches Grundgebiet, doch es gelten belgische Regeln,“ erklärt der Sprecher des niederländischen Justizministeriums, Jaap Oosterveer. Ein belgischer Direktor leitet die Anstalt, die Mitarbeiter sind Niederländer.
Weniger Kriminalität, mehr Geldbußen und alternative Strafen wie der Dienst fürs Gemeinwohl sind laut dem Ministerium Gründe für den Rückgang der Häftlingszahlen. Doch der hat auch eine Kehrseite, erläutert Oosterveer: „Arbeitsplätze gehen verloren“. Gut 2600 Stellen sollen gestrichen werden. Um zu verhindern, dass die Menschen auf der Straße landen, sollen Zellen und Wärter vermietet werden. Das wäre die Rettung für die Norweger, denen vor allem die maroden Haftanstalten Kopfschmerzen machen.
An der Misere gibt die norwegische Regierung aus Konservativen und Rechtspopulisten vor allem den sozialdemokratischen Vorgängern die Schuld. „Die Regierung ist dieses Thema lange nicht angegangen“, sagt Brein-Karlsen von der Fortschrittspartei. „Es hat viele Urteile gegeben, die Straftäter haben mehr Zeit im Gefängnis verbracht.“ Trotzdem sei nur eine neue Anstalt gebaut worden. Mit 249 Plätzen.
„Wir müssen natürlich sicherstellen, dass die Häftlinge ihre Strafe in den Niederlanden genauso absitzen können, wie sie es hier täten“, sagt der Staatssekretär. „Resozialisierung ist ein wichtiges Ziel.“ Daher sollten etwa mit Vorrang ausländische Gefangene, die nach ihrer Strafe ohnehin des Landes verwiesen würden, ausquartiert werden.
Schon 2015 könnten norwegische Gauner hinter niederländischen Gittern sitzen. Schwerverbrecher wie Anders Behring Breivik kämen aber nicht, hatte der niederländische Justizminister Ivo Opstelten versichert. Probleme sehen die Niederländer nicht: Mit den Norwegern werde man Englisch sprechen. Die Insassen müssten sich auch nicht an traditionell holländische Kost gewöhnen. „Bei uns gibt‘s auch Spaghetti“, sagt Oosterveer. Fragen stehen trotzdem noch im Raum: Wie können die Straftäter ihre Familien sehen? Wie können sie sicher in die Niederlande gebracht werden?
Der Transport ins Nachbarland Schweden wäre einfacher. Auch dort hatten die Norweger sich nach Zellen erkundigt. „Wir haben Platz“, sagt auch das schwedische Justizministerium. Die Zahl der Gefangenen sinkt seit Jahren. Gefängnisse in Uppsala, Kristianstad und Södertälje bei Stockholm haben deshalb schon dichtgemacht. So spontan konnten die Nachbarn aber doch keine Straftäter aus dem Ausland aufnehmen.
Das werfe Probleme im Umgang mit den Häftlingen auf: „Die schwedischen Behörden können über Gefangene entscheiden, die sie verurteilt haben, aber nicht über welche aus anderen Ländern“, sagt ein Sprecher. Dazu gebe ihnen die Verfassung nicht das Recht. In Island wollen alle nordischen Länder gemeinsam über einen Gefangenenaustausch im Norden beraten.