Oft ist der Täter ein Bekannter
Eltern können lernen, wie sie ihre Kinder vor Missbrauch schützen und ihr Selbstvertrauen stärken können.
Düsseldorf. Wenn Annette Becker Vorträge hält über sexuellen Missbrauch von Kindern, dann könnte sie mit furchterregenden Beispielen beginnen. Mit bösen Männern, die hinter Büschen warten und ahnungslosen, unschuldigen Kindern Gewalt antun.
Sie fängt aber lieber mit einem harmlosen Satz an. Mit einem Satz, der in Familien sehr häufig zum Einsatz kommt, wenn kindliche Unmutsäußerungen an den Nerven zerren: "Jetzt stell’ dich nicht so an." Vermutlich hat das Kind gesagt: "Ich mag den kratzigen Pullover nicht." Dem Erziehungsreflex zum Trotz: Kinder müssen lernen, Nein sagen zu dürfen.
Wer meint, beides habe nichts miteinander zu tun und "Nein" sagten Kinder schon viel zu oft, der irrt. Denn eine familiäre Grundstimmung kann durchaus etwas zu tun haben mit dem Verbrechen, vor dem Eltern sich am meisten fürchten.
"Täter suchen sich schwache Opfer", sagt Annette Becker, Kriminalhauptkommissarin in Düsseldorf und zuständig für Prävention. Ihre Arbeit soll vorbeugen: Annette Becker hält für Eltern Vorträge.
Das Problem: Viele Eltern haben vor dem Falschen Angst - nämlich vor dem bösen fremden Mann. Deshalb zitiert Annette Becker stets die Polizeistatistik: "Viele Eltern wollen das nicht wahrhaben, aber die Zahlen sind eindeutig: Gravierende Fälle von sexuellem Missbrauch durch Fremde kann man an einer Hand abzählen." 2007 und 2006 habe es weniger als fünf Fälle gegeben, in den Jahren davor weniger als zehn.
"In 85 bis 90 Prozent der Fälle aber", sagt Annette Becker eindringlich, "kommen die Täter aus dem Nahbereich." Das heißt: Es kann ein Onkel sein, ein Nachbar, ein Sporttrainer oder ein Babysitter. "In der Regel sind die Täter Menschen, die die Eltern kennen."
Und gerade um Kinder auch in vertrauten Situationen vor möglichem Missbrauch zu schützen, sollten Eltern ihnen "nicht immer ihre Empfindungen absprechen", betont Becker. Kinder, die sich ernst genommen fühlen und die wissen, dass man auf ihre Gefühle Rücksicht nimmt, haben einen inneren Schutzschild.
Eltern, so lautet der polizeiliche Rat, sollten Kinder stark machen. Und sie sollten zuhören: "Kinder erfinden sexuellen Missbrauch nicht, sie schützen eher noch den Täter. Deshalb sollte man Veränderungen oder entsprechende Äußerungen ernst nehmen und ruhig nachfragen", erklärt die Kommissarin. Die polizeilichen Erfahrungen zeigten, dass betroffene Kinder häufig rund fünf Ansprechstationen brauchten, bis ihnen geglaubt wurde.
Eltern können hilfreiche Regeln in Vorträgen lernen, teilweise bieten Schulen das in Verbindung mit dem Theaterstück "Mein Körper gehört mir!" an. Berufstätige Mütter sollten, so der Tipp der Fachfrau, darauf achten, dass auch andere Erziehungsbeteiligte wie Tagesmütter oder Großeltern diese Regeln mittragen.
Die Kinder selbst schult die Polizei nicht. Zahlreiche Vereine und Initiativen bieten Selbstsicherheitstrainings an, durch diesen Dschungel müssen Eltern sich leider selbst durchkämpfen. "Es gibt keine Gütesiegel", sagt Wolfgang Beus, Sprecher des Düsseldorfer Innenministeriums. Das Landeskriminalamt hat aber eine Checkliste zusammengestellt, um die Kurse einschätzen zu können:
Eltern sollten in einer Informationsveranstaltung genau über Ablauf und Inhalte informiert werden. Im Kurs sollten die Kinder auf keinen Fall "den Ernstfall" proben; Gefahrensituationen können traumatische Folgen haben. Eltern können bei der Polizei oder beim Jugendamt nachfragen, ob Fachleute am Konzept beteiligt sind.