Orkan „Xaver“ bringt Sturmflut und Schnee
Hamburg (dpa) - Der gefürchtete Orkan „Xaver“ hat mit viel Ausdauer über Europa getobt, die Auswirkungen sind aber geringer als erwartet.
Sturmfluten peitschten auf die Nordseeküste, Flug- und Zugverkehr waren vielerorts gestört, Bäume knickten um, Dächer wurden abgedeckt. Hunderttausende waren ohne Strom. Mindestens zehn Menschen starben europaweit bei dem Unwetter.
Hamburg erlebte am Nikolaustag morgens die zweithöchste Flut seit Beginn der Aufzeichnungen 1825. Millionen Menschen in Deutschland erlebten einen Wintereinbruch. Es gab Schnee und Tausende Unfälle.
Am Freitagmittag war laut Deutschem Wetterdienst „das Schlimmste überstanden“. Die Auswirkungen blieben geringer als bei Orkan „Christian“ vor etwa sechs Wochen. Für das Wochenende gab es zudem Entwarnung: Es soll ruhiger und wärmer werden.
In Mecklenburg-Vorpommern war die Lage am Freitagabend noch sehr angespannt. Der Deutsche Wetterdienst gab für den Abend erneut eine Unwetterwarnung heraus. An der Ostseeküste in den Kreisen Rostock und Vorpommern-Rügen musste demnach bis 22.00 Uhr mit orkanartigen Böen mit Geschwindigkeiten bis zu 115 Kilometer pro Stunde gerechnet werden. Das Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie in Rostock warnte vor einer leichten Sturmflut. In der Nacht zum Sonnabend könnten 1,20 Meter über dem mittleren Wasserstand erreicht werden.
Genaue Schätzungen zu Schäden waren zunächst unmöglich. Dafür sei es noch viel zu früh, sagte ein Sprecher des weltgrößten Rückversicherers Munich Re in München.
In Polen starben drei Menschen, als ein Baum auf ihr Auto fiel. Für zwei Seemänner, die am Donnerstagmorgen vor der schwedischen Küste über Bord gegangen waren, gab es keine Hoffnung mehr. Die Suche wurde aufgegeben. In Südschweden wurde ein Jäger von einem umstürzenden Baum erschlagen. In Mora in Mittelschweden wurde eine ältere Frau tot im Schnee gefunden.
In Großbritannien und Skandinavien hatte es bereits am Donnerstag drei Tote gegeben. In Nord- und Mitteleuropa waren zeitweise Hunderttausende Haushalte ohne Strom, die meisten in Polen.
Bei Plau am See (Mecklenburg-Vorpommern) starb am Freitag eine 82-Jährige beim Unfall eines Rettungswagens - inwieweit starke Sturmböen schuld waren, blieb zunächst unklar. Auf schneeglatter Straße geriet im österreichischen Maishofen ein Reisebus auf die Gegenfahrbahn und kollidierte dort mit einem Lastwagen. Ein weiterer Transporter fuhr am Freitag auf. Ein Lastwagenfahrer starb, teilte die Polizei mit. Möglicherweise spielten auch Böen eines Ausläufers von Sturmtief „Xaver“ bei dem Unfall eine Rolle.
Der Orkan traf auch den Bahnverkehr hart. Der Fernverkehr nördlich von Hamburg wurde am Freitag eingestellt und der Regionalverkehr war teilweise eingeschränkt. Am Morgen waren auch die IC- und ICE-Strecken Hamburg-Hannover und Berlin-Hamburg mehrere Stunden gesperrt, weil Bäume umgeknickt auf Schienen lagen.
Fernzüge von und nach Schleswig-Holstein sowie Dänemark sollen am Samstag in den Mittagsstunden wieder fahren, teilte die Bahn am Freitag mit. Auf den Flughäfen etwa von Hamburg, Hannover oder Bremen wurden etliche Flüge gestrichen.
Für das am meisten betroffene Schleswig-Holstein hieß es: „Wir haben mit Stand Freitagmittag im Vergleich zu Orkantief "Christian" nur ein Zehntel so viele Schadensfälle“, sagte ein Sprecher von der Provinzial Nord Brandkasse. „Xaver“ hinterließ allerdings auf der Nordseeinsel Sylt größere Schäden, wo Windgeschwindigkeiten von bis zu 148 Kilometer pro Stunde registriert worden waren.
Die Inseln und Halligen vor Schleswig-Holsteins Küste waren vom Festland vorübergehend nicht mehr zu erreichen. Schleswig-Holsteins Umweltminister Robert Habeck (Grüne) zeigte sich nach der Sturmnacht erleichtert. „Heute Nacht hat Deutschland den Atem angehalten und auf unsere Deiche geschaut - sie haben Stand gehalten.“
In Berlin riss der Sturm den 13 Meter hohen Weihnachtsbaum vor Schloss Bellevue um, dem Amtssitz von Bundespräsident Joachim Gauck.
Der Scheitel der Sturmflut erreichte Hamburg gegen 6.15 Uhr mit einem Wasserstand von 3,98 Meter über dem Mittleren Hochwasser. Bei der verheerenden Flut 1962 hatte der Wasserstand in Hamburg einen ähnlichen Wert. Damals waren die Deiche aber noch deutlich niedriger und weniger stabil. Nur die Flut von 1976 war noch höher ausgefallen. Am Freitagabend gegen 18.00 Uhr wurde Hamburg von der dritten Sturmflut kurz hintereinander getroffen, im Hafen wurde ein Wasserstand von rund drei Metern über dem mittleren Hochwasser (5,10 Meter über NN) erreicht. Am Abend gab die Stadt Entwarnung. „Es besteht für die Bevölkerung keine Gefahr mehr“, hieß es laut amtlicher Mitteilung.
In deutschen Mittelgebirgen wie Harz, Rhön oder Erzgebirge oder auch den Alpen gab es oft Neuschnee, weiterer wurde erwartet. Mit einer Spitzengeschwindigkeit von 145 Stundenkilometern fegte der Sturm über den Brocken im Harz laut DWD etwas langsamer als prognostiziert.
In Cuxhaven wurde das Dach eines Hochhauses abgerissen, in Stralsund das Dach eines Discounters. Auf Helgoland, Deutschlands einziger Hochseeinsel, deckte der Sturm Häuser ab und drückte Fensterscheiben ein. In München zerstörte „Xaver“ ein Veranstaltungszelt und verhinderte die Premiere einer Pferdeshow.
In Großbritanniens Küstenregionen verbrachten Hunderte die Nacht zum Freitag in Schulen und anderen Notunterkünften.
In Dänemark rollten am Freitagmorgen die ersten Züge wieder aus den Bahnhöfen. Am Donnerstag war der Zugverkehr eingestellt worden.
In Schleswig-Holstein und Hamburg sowie Teilen Niedersachsens war auch am Freitag schulfrei, ebenso in Mecklenburg-Vorpommern an staatlichen Schulen. In Berlin und Brandenburg war die Schulpflicht aufgehoben. Viele der bundesweit vorsorglich geschlossenen Weihnachtsmärkte sollten am Freitag wieder offen für Besucher sein.
Das Bremer Weserstadion, das vor dem Hauptdeich liegt, blieb unbeschadet. Das Fußball-Bundesligaspiel zwischen Werder Bremen und Bayern München am Samstag kann stattfinden.