Porträt: Helene Tursten - „Ich schreibe keine Märchen“

Helene Turstens Krimis laufen derzeit in der ARD. Früher arbeitete sie als Zahnärztin – bis das Rheuma kam.

Düsseldorf. Plötzlich ist das Rheuma da. Es lähmt sie. Die Arbeit wird zur Qual, bis sie sie gar nicht mehr schafft. Rente mit 39, ein Alptraum für die Schwedin Helene Tursten (gesprochen: Türsten), die sich von der Krankenschwester bis zur Zahnärztin mit eigener Praxis hochgearbeitet hatte. "Es war eine große Lebenskrise", erinnert sie sich an die Zeit im Jahr 1993.

"Genauso schlimm wie die Krankheit war das Gefühl, meine Identität zu verlieren, meine sozialen Kontakte, die wirtschaftliche Basis. Es war ein Schock für mich."

Aus dem Haus geht sie nur selten. Mal ist es zu warm, mal zu kalt, dann zu windig und zu nass. Mann und Tochter sind ratlos. Irgendwann beschließt sie, sich einen Hund zuzulegen, den Irish Terrier Sammie.

Jetzt muss sie raus aus dem Haus, kommt wieder unter Leute. Die Krankheit bessert sich, die Neugier aufs Leben kehrt zurück. Zähne bohren kann sie nicht mehr. Aber schreiben, das geht. "Auf einmal hatte ich eine Geschichte in mir. Niemand hätte erwartet, dass ich ein Buch schreibe. Ich habe es auch niemandem erzählt", sagt sie.

Im März 1998 erscheint "Der Novembermörder", auf Anhieb hat sie Erfolg. "Erst war ich überrascht, schließlich überwältigt." Mittlerweile sind allein in Deutschland ihre acht Bücher um die Inspektorin Irene Huss mehr als 1,3Millionen Mal verkauft worden - beachtlich angesichts der Schwemme an Kriminalromanen. Zuletzt ist im Juni "Das Brandhaus" im btb-Verlag erschienen.

Sechs Filme aus der Reihe laufen derzeit in der ARD, sonntags nach dem Tatort, als Vertretung für Anne Wills Talkshow, als dunkle Seite des Sommers.

Ihre Protagonistin Irene Huss unterscheidet sich von ihren prominenten schwedischen Vorgängern, etwa Mankells Kurt Wallander, Nessers Erich van Veeteren oder Sjöwall/Wahlöös Martin Beck - mehr oder weniger gebrochene Typen mit einem Haufen privater Probleme.

"Ich wollte nicht über einen Whiskey trinkenden Einzelgänger schreiben", sagt Helene Tursten. "Ich mag es nicht, wenn sich weibliche Helden in Krimis ebenso aufführen wie ihre männlichen Vorgänger - saufend und fluchend."

Irene Huss ist Jiu-Jitsu-Europameisterin gewesen, führt eine glückliche Ehe mit einem Sterne-Koch, hat zwei pubertierende Töchter und einen Hund. Der heißt Sammie, und das ist kein Zufall. Dem Vierbeiner, der sie stets nach draußen drängte, hat Tursten ein Denkmal gesetzt.

So harmonisch Irenes Privatleben abläuft - zumindest meistens -, so hart und brutal ist ihr Job als Inspektorin bei der Polizei Göteborg. Sie hat mit Pädophilie zu tun, mit Menschenhandel, mit Neonazis, mit Hinrichtungen.

In ihrem Fall "Der tätowierte Torso" werden Leichen ohne Gliedmaßen gefunden. Ein Mörder entkommt, weil Irene ihm ein Alibi gegeben hat - er hatte eines ihrer Kinder gerettet.

"Ich schreibe keine Märchen oder so", sagt Helene Tursten. "Ich beschreibe Angelegenheiten der heutigen Gesellschaft, und die ist hart und brutal." Wieso sollten Frauen auch weicher schreiben? Die Realität sei noch viel härter, als sie sie darstelle.

"Aber dann würde keiner in der Lage sein, die Romane zu lesen." Anregungen bekommt sie aus Zeitungen, aus dem aktuellen Weltgeschehen. Und von ihrem Mann. Der ist Zahnarzt wie sie, war aber früher Polizist, "der weiß, wie es läuft".

Wenn sie ein Buch schreibe, arbeite sie 24 Stunden daran, am Computer und in Gedanken, "und wenn es fließt, ist das ein wunderbares Gefühl".