Rechenfehler: Bei Boeing-Jets drohen weitere Risse

New York (dpa) - Für den US-Flugzeughersteller Boeing wird das aufgerissene Dach in einer Maschine zu einer ernsten Angelegenheit: In Hunderten älterer Boeing 737 drohen Risse in der Außenhaut. „Das kommt nicht komplett unerwartet“, räumte Konzernmanager Paul Richter (Ortszeit) ein.

„Wir haben grundsätzlich damit gerechnet, dass wir die Flugzeuge ab einem bestimmten Zeitpunkt kontrollieren müssen.“ Allerdings sei Boeing davon ausgegangen, dass sich eine Ermüdung des Materials erst „viel, viel später“ zeige. „Wir sind alle beunruhigt über die jüngsten Entwicklungen.“

Die Boeing-Ingenieure scheinen sich verkalkuliert zu haben: Eigentlich sollte eine neue Fertigungstechnik die beliebten Kurz- und Mittelstreckenjets vom Typ 737 langlebiger machen. Doch was die Ingenieure vor 20 Jahren ersonnen haben, erweist sich immer mehr als Fehlgriff. Der US-Hersteller und Airbus-Konkurrent müht sich um Schadensbegrenzung.

Am Freitag hatte eine 15 Jahre alte 737-300 des US-Billigfliegers Southwest notlanden müssen, nachdem sich mit einen lauten Knall ein Loch im Dach aufgetan hatte. Wie durch ein Wunder wurde keiner der 123 Insassen ernsthaft verletzt. Southwest kontrollierte daraufhin alle ähnlichen Maschinen und stellte bei insgesamt fünf betagteren 737-Jets winzige Risse in der Außenhülle fest. die US-Luftfahrtsbehörde ordnete auch bei anderen Fluggesellschaften Überprüfungen älterer Boeing 737 an.

Schwachstelle sind laut Boeing die Schnittkanten, an denen die verwendeten Aluminiumplatten aufeinandertreffen. Bislang habe Boeing keine speziellen Prüfungen vorgeschrieben, gestand Richter. „Vor diesem Unfall war unser Plan, mit den Inspektionen bei 60 000 Flügen zu beginnen.“

Die Unglücksmaschine von Southwest hatte knapp 40 000 der strapaziösen Starts und Landungen hinter sich. Durch den unterschiedlichen Druck am Boden und in großen Höhen verformt sich das Material, besonders die Nähte leiden. Schon früher und bei anderen Flugzeugtypen war es deshalb zu Unglücken gekommen. Klafft erst ein Loch, drohen die Insassen hinausgesogen zu werden.

Nach Angaben des Boeing-Managers müssen insgesamt 570 Flugzeuge der 737-Baureihe weltweit überprüft werden. Problematisch sind diverse 737-Typen der alten, sogenannten „Classic“-Baureihe aus den Jahren 1993 bis 2000. Hier sei ein damals neuartiges Verfahren zur Befestigung der Aluplatten eingesetzt worden, sagte Richter. Eigentlich sollte die Technik die Flugzeuge langlebiger machen - jetzt bereitet ausgerechnet diese Technik Probleme.

Die Maschinen sollten nun schon nach 30 000 Flügen zur Inspektion, erklärte der Manager und setzte damit die gleiche Marke wie die US-Luftfahrtbehörde FAA. Anschließend empfiehlt Boeing alle 500 Flüge eine Nachkontrolle. Das ist eine ungewöhnlich kurze Zeitspanne. Viele Maschinen müssten demnach jedes Vierteljahr in eine gründliche Inspektion, bei der die Techniker mit Spezialgeräten die fürs menschliche Auge erst einmal unsichtbaren Risse suchen.

Auch die Lufthansa hatte drei verdächtige 737 kontrolliert, jedoch nach Angaben eines Sprechers nichts gefunden. Die zweite große deutsche Linie, Air Berlin, fliegt nur neuere Versionen der 737. „Bei den Modellen der Next Generation, das kann ich ihnen versichern, gibt es keine Probleme“, sagte Richter. Das Material verwinde sich dank anderer Techniken viel weniger.

Boeing hatte die gründliche Überarbeitung der 737-Flieger in den 1990er Jahren als Antwort auf die immer beliebter werdenden A320-Konkurrenzmodelle von Airbus angestoßen. Die 737 ist bis heute aber unbestritten das meistverkaufte Flugzeug der Welt. Nahezu alle großen Gesellschaften auf der Welt fliegen diesen Typ. Akute Probleme gab es indes nur mit Maschinen des Billigfliegers Southwest, was die Gesellschaft in ein schlechtes Licht rückte.

Bei Southwest müssen die Maschinen überdurchschnittlich viele Flüge am Tag absolvieren und altern dadurch schneller. Boeing-Manager Richter nahm seinen Großkunden aber in Schutz: „Southwest unterhält eine der größten 737-Flotten der Welt und sicherlich die größte Flotte an 737 „Classic“.“ Das es gerade hier zu Vorfällen komme, sei deshalb nicht weiter verwunderlich. „Es ist einfach eine statistische Wahrscheinlichkeit.“

Und auch Boeing bekommt Schützenhilfe aus dem Heimatland: Der ehemalige Chef des Ausschusses für Verkehrssicherheit, Mark Rosenker, räumte im „Wall Street Journal“ zwar ein, dass Boeing sich verrechnet habe. „Aber auch kein anderer hat das Problem erkannt.“