Reporter zwischen Krieg und Frieden
Porträt: Peter Kunz ist der ZDF-Mann in Asien. Wir haben ihn in Singapur getroffen, kurz nach den Terroranschlägen von Bombay, die den 47-Jährigen sechs Tage in Atem gehalten haben.
Singapur. "Es gibt keine Städte, die nie schlafen", sagt Peter Kunz (47) im Sommer 2007 in seiner Reportage über die westindische Finanzmetropole Bombay. Die Kamera zeigt dabei die Reihen indischer Landflüchtlinge, erschöpft unter Laken und Zeitungen. Bombay, der Traum vom guten Leben - für die Müden platzt er, und nur für die Ausgeschlafenen wird er wahr. Doch jetzt im Dezember 2008 haben Bombay und die Terroranschläge dem Journalisten selbst den Schlaf geraubt.
Sechs Tage pausenlose Fernseharbeit und nur 16 Stunden Schlaf - ja, geht denn das? Die, die dieses Leben führten, könnten sofort verstehen, klärt Kunz auf. Bei solchen Ereignissen würden die Abläufe des normalen Lebens außer Kraft gesetzt, plaudert er, sichtlich abgespannt bei einem doppelten Cappuccino, den ihm Sekretärin Tessa Wilde an den Konferenztisch im ZDF-Studio Singapur bringt.
Irgendwie verlasse man Raum und Zeit, sagt Kunz. Schlaf sei nicht mehr so wichtig, Wach sein angesichts der Ereignisse ein permanenter Zustand, indem man sich irgendwie zuhause fühle.
Kunz ist an diesem Morgen randvoll von den Eindrücken der vergangenen Woche. Was er erlebt hat, sprudelt aus ihm heraus, kaum dass er vom Changi-Airport kommend ins Studio geeilt ist.
Rückblende: 1993 trafen wir uns zum ersten Mal im Ausland, das war in Somalia. Das deutsche Bundeswehr-Kontingent von Belet Uen wartete im Norden des Landes auf die indische Brigade, die nie kommen würde. Lachend stand er da, begrüßte seinen Kollegen aus der alten Bergischen Heimat vor dem verwitterten Schiffscontainer, in dem sich das ZDF-Studio befand.
"Es war heiß da drinnen und dennoch hatten wir alle verfügbaren Ventilatoren statt auf uns auf die empfindlichen Geräte gerichtet", erinnert er sich jetzt. Täglich wurde gesendet. Belet Uen, das war damals ein echtes Ereignis und die Bundeswehr auf ihrem ersten richtigen Auslandseinsatz.
Sechs Jahre war Kunz Afrikakorrespondent für die Mainzer und betreute fast den ganzen Kontinent von seinem Studio in Nairobi aus. Die Tiere der Masai Mara hat er gefilmt und Diktatoren interviewt, die sich wie Tiere benahmen. Ob man zynisch werde dabei? Nein, ein Journalist hätte mit jedem zu sprechen!
Andererseits: Kriege führe man ja nicht nur aus wirtschaftlichen Aspekten viel zu lange. Es sei auch diese Ausnahmesituation, dieses "gottgleich werden", wenn die Machthaber Herr über Leben und Tod seien, denkt er nach. Aber gelernt hätte er, dass die Welt nun mal nicht nur aus Gut und Böse, aus Schwarz und Weiß bestehe. "Ich bin der Meinung, das auch das Böse eine Chance auf Wandlung verdient", sagt er auch.
Kunz stammt aus dem Bergischen Land. Geboren in Remscheid, Abitur in Radevormwald, Volontariat beim "Remscheider Generalanzeiger". "Leichtsinn ist kein Mut" habe er als 7-Jähriger auf einem Schild der Verkehrswacht während eines Fahrradturniers gelesen. Mit dieser Erinnerung nähert der Korrespondent sich noch heute den Geschichten in den Krisenregionen der Welt: vorsichtig und immer mit dem nötigen Bauchgefühl. Ja, oft sei eine Waffe auf ihn gerichtet gewesen, sagt er, doch nicht die gezielten Schüsse seien die gefährlichen.
Kunz erinnert sich an den betrunkenen kongolesischen Soldaten, dessen viel zu tiefer Warnschuss aus der Kalaschnikow die Windschutzscheibe traf. Oder an die verirrte Kugel, die an ihm vorbeipfiff auf dem Hoteldach bei der Liveschaltung aus Kinshasa. "Wenn sie pfeifen, sind sie ganz nah", beschreibt er die Flugbahn so eines Projektils.
Wohl auch bei der Ankunft Benazir Butthos in Pakistan habe sein Bauchgefühl Schlimmeres verhindert: "Wir drehten damals nur am Airport - der vermutlich sichersten Zone. In der Stadt starben indes bei der Bombenexplosion 150 Menschen, die sich in unmittelbarer Nähe der Präsidentschaftskandidatin aufhielten. Er wird kurz still. Eine Woche später sei er mit Angela Merkel in Indien gewesen. Ein Wechselbad, aber so sei der Job.
Peter Kunz Wirkungskreis ist riesig, ein Radius wie geschaffen für vernarrte Weltenbummler. Von Neuseeland bis Pakistan sendet er. Interview mit dem Dalai Lama in Daramshala, Flüchtlingsdramen in Burma, Schlangenherzen als kulinarische Delikatesse in Nordvietnam - Erlebnisse, ausreichend für mehr als ein Leben.
Die Sehnsucht nach friedlichen Geschichten ist größer geworden, angesichts der Toten und Zerfetzten, die man im Fernsehen sowieso nicht zeigen kann. "Man kann das Elend wieder und wieder ertragen und dennoch wird man dünnhäutiger, weil man nicht mehr einsieht, warum die Welt sich immer so weiterdrehen muss", gesteht Peter Kunz sich ein.
Wen wundert es, als er auf die Frage nach Lieblingen unter seinen Beiträgen die erwähnt, die von schönen Landschaften und friedlichen Menschen erzählen. Seine lange Reise auf dem Mekong zum Beispiel oder zu den Kumaris, den kleinen Göttinnen von Nepal. Ganz aktuell schwärmt er von seinem Neuseeland-Special. 90 Minuten Sendezeit vom anderen Ende der Welt - in sechs Wochen gedreht.
Ehefrau Sophie ist gekommen, und Pauline (3) turnt auf Papa herum, quengelt, versteht wohl noch nicht, dass der immer wieder ganz schnell weg ist, wenn sie ihn gerade ganz doll lieb hat. Doch irgendwann rückt doch wieder Bombay in den Mittelpunkt des Gesprächs. Dieses Bombay war ja fast zeitgleich mit Bangkok. Abwägen zwischen zwei gewichtigen Ereignissen - ein Attentat gegen eine Airportblockade in Thailand.
Bombay geht vor. Mit den Geschichten neben den Fakten: Dem Zuschauer in Deutschland begreifbar machen, das die Moslems in Indien eine Minderheit sind - aber eben eine millionenfache. Also ab in die Viertel, wo Menschen leben und nicht töten. Interview mit dem Parfümmacher und dem Drachenbauer. "Der süsse Parfümduft umgab mich noch Tage danach", erinnert sich Kunz am Konferenztisch des ZDF-Studios.
Sechs Tage und ein paar Stunden später war das - da waren die Bilder von Bombay schon Schnee von gestern.